Namen & Neues

Hilfen zur Erziehung: Marzahn-Hellersdorf fordert mehr Geld vom Land

Veröffentlicht am 11.02.2020 von Ingo Salmen

Hilfen zur Erziehung: Marzahn-Hellersdorf fordert mehr Geld vom Land. Eines der größten Risiken bleibt auch im neuen Berliner Doppelhaushalt 2020/21 der Kinderschutz. Das machte Bürgermeisterin Dagmar Pohle (Linke) am heutigen Dienstag beim Jahrespressegespräch des Bezirksamts im Rathaus Hellersdorf deutlich. Für diese sogenannten Hilfen zur Erziehung (HzE) werde der Bezirk vom Land „nicht sachgerecht ausgestattet“, wie Pohle trocken formulierte. Er kann sich nicht darauf verlassen, dass hohe Aufwendungen auch tatsächlich im Rahmen der sogenannten Basiskorrektur vom Land erstattet werden. Am Ende könnte der Bezirk, der für das Land die Arbeit macht, ins Minus rutschen. Wie Familienstadtrat Gordon Lemm (SPD) darlegte, sind im aktuellen Haushalt 79 Millionen Euro für HzE vorgesehen. Dass das reichen wird, ist unwahrscheinlich: Im vergangenen Jahr gab Marzahn-Hellersdorf für Maßnahmen von Familienhelfer*innen bis zur stationären Unterbringung die Rekordsumme von 87 Millionen Euro aus – die Summe steigt seit Jahren. „Wir werden in ein Defizit laufen“, prophezeite Lemm.

Keine Untersuchung habe bisher ergeben, dass das Jugendamt in Marzahn-Hellersdorf falsch arbeite, betonte Lemm. „Wir haben einfach den Bedarf.“ Allerdings hatte die Senatsverwaltung für Finanzen im vergangenen Jahr eine Studie in Auftrag gegeben, um die Bezirke Reinickendorf, Friedrichshain-Kreuzberg und Marzahn-Hellersdorf zu vergleichen – und im Dezember vom Ostbezirk gefordert, mehr auf ambulante Hilfen statt auf Heimunterbringungen zu setzen. Lemm konnte darüber am Dienstag nur lachen. Diesen Ratschlag gebe die Finanzverwaltung immer. „Fiskalisch ist das völlig richtig, aber dahinter verbergen sich Einzelschicksale“, sagte er. „Kinderschutz geht vor fiskalischen Erwägungen.“ Immerhin müssten die Mitarbeiter*innen des Jugendamtes persönlich für das Kindeswohl einstehen. Außerdem habe der Bezirk die stationären Aufenthalte bereits auf 51 Prozent verringert – trotzdem steigen die Kosten.

Anfang Januar habe es eine erste Auswertungsrunde mit den drei Bezirken zu der Studie gegeben, berichtete Lemm. Dort seien zwar 25 Punkte genannt worden, die zu beachten seien. Ein oder zwei Anregungen könne Marzahn-Hellersdorf auch übernehmen. Die „Essenz“ aber sei: „Wir machen nichts anders als die anderen Bezirke und arbeiten nach den rechtlichen Regelungen.“ Lemm zog deshalb den Umkehrschluss: Wenn Marzahn-Hellersdorf richtig arbeite, müsse das Land auch das nötige Geld bereitstellen – und nicht nur einen Teil. Pohle kündigte an, den Abschlussbericht im März abwarten zu wollen, um dann beim Senat vorstellig zu werden. Sie wird sich auf eine Aussage des Regierenden Bürgermeisters berufen können. „Wenn es dargestellt wird, dass der Bezirk alles richtig gemacht hat, muss es korrigiert werden“, sagte Michael Müller (SPD) im September bei der Senatstour durch MaHe dem Tagesspiegel. „Wenn sie wirklich mehr Fälle haben, können sie dafür nichts.“ Ob das Land dann alle Kosten übernehme, ließ Müller aber offen. Das sei Verhandlungssache.

Zu Beginn seiner Amtszeit hat Lemm den Kinderschutz als seine wichtigsten Aufgabe benannt. „Wir haben einen Verlust an Erziehungskompetenz“, sagte er jetzt. Marzahn-Hellersdorf weise die schlechtesten Ergebnisse bei den Einstellungsuntersuchungen auf, die meisten Alleinerziehenden, die wenigsten Schulabschlüsse. Deshalb hatte Lemm angekündigt, die Prävention ausbauen zu wollen, Eltern zu aktivieren. Erste Schritte sind gemacht: Von 325.000 Euro im Jahr 2016 ist die Familienförderung auf 650.000 Euro aufgestockt worden, Mithilfe der Linken-Abgeordneten Manuela Schmidt sei außerdem das „Flexi-Budget“ auf Landesebene eingeführt worden: 600.000 Euro im Jahr, die Marzahn-Hellersdorf auf Hellersdorf-Nord und Marzahn-Mitte konzentrieren will. Sozialpädagog*innen, so eine Idee, könnten in Kitas nur dafür beschäftigt werden, Eltern von Kindern mit Defiziten zu unterstützen.

Bei 87 Millionen Euro für HzE sind das noch immer kleine Posten. Lemm hat sein Team im Jugendamt deshalb ein großes Präventionspaket mit viel mehr Maßnahmen erstellen lassen. Dieses „Opti-Paket II“, haben die Fachleute errechnet, würde eine Investition von 5,2 Millionen Euro in die Vorbeugung bedeuten. Das aber habe die Senatsfinanzverwaltung abgelehnt. – Text: Ingo Salmen
+++
Dieser Text ist zuerst im Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Spandau erschienen. In unseren Bezirks-Newslettern berichten wir kompakt, konkret und einmal in der Woche, was los ist in Ihrem Bezirk. 180.000 Haushalte haben die Newsletter schon fest abonniert. Sie haben auch Interesse? Kostenlos und in voller Länge unter leute.tagesspiegel.de
+++
Meine weiteren Themen im aktuellen Newsletter aus Marzahn-Hellersdorf – hier eine kleine Auswahl

  • Zu wenig Personal, zu hoher Krankenstand: Die Verwaltung in Marzahn-Hellersdorf geht am Stock
  • Die Ziele: Deutsche Meisterschaft, Olympia und Einbürgerung – Marathonläufer Mustapha El Ouartassy im Interview
  • Hilfen zur Erziehung: Marzahn-Hellersdorf fordert mehr Geld vom Land
  • Nach Tumulten bei Gedenkveranstaltung: Protest vor BVV angekündigt
  • Verkehrslösung Mahlsdorf: BVG schreibt Planung der Tramstrecke aus – und was dann?
  • Amtsgericht Marzahn-Hellersdorf: viele Fragen, keine Antworten
  • Dank „Jugend musiziert“: MaHe gehört jetzt zu Berlin-Mitte
  • …und noch viel mehr Bezirksnachrichten, Kiezthemen, Termine und persönliche Tipps im Newsletter für unseren Bezirk. Kostenlos und in voller Länge unter  leute.tagesspiegel.de