Namen & Neues

Pop-up-Radwege - kein Personal, kein Geld, aber politischer Druck

Veröffentlicht am 02.06.2020 von Ingo Salmen

Wenn sich schon die FDP für den Radverkehr einsetzt, dann muss wirklich etwas im Argen liegen. „Die Radinfrastruktur im Bezirk ist bereits in einem miserablen Zustand, der nicht einfach so liegen bleiben darf“, teilte Roman Rogat, Vorsitzender der der Liberalen in Marzahn-Hellersdorf (2,5 Prozent bei der BVV-Wahl vor vier Jahren), vergangene Woche mit. Nötig seien sichere Schulwege und eine bessere Anbindung zu den Bahnhöfen für den Weg in die Innenstadt. Dass beide Stellen für die Radverkehrsplanung, wie berichtet, unbesetzt sind, sei „vollkommen unverantwortlich“, beklagte Rogat.

Für die beiden offenen Stellen musste sich Stadträtin Nadja Zivkovic (CDU) auch in der BVV rechtfertigen. Eine war nie besetzt, die andere wurde durch Beförderung wieder frei. Sie wolle an dieser Stelle „so schnell wie möglich“ für Abhilfe sorgen, beteuerte Zivkovic auf Anfrage der SPD-Verordneten Marlitt Köhnke. Dem Tagesspiegel sagte die Stadträtin, es sei „generell sehr schwierig“, an Tiefbauingenieure zu kommen. Deshalb prüfe das Bezirksamt nun, welche Unis oder Fachhochschulen eine entsprechende Ausbildung anbieten, um Themen für Masterarbeiten vergeben zu können und dadurch junge Fachkräfte zu gewinnen.

Den Personalmangel führte Zivkovic auch als einen Grund dafür an, dass Marzahn-Hellersdorf einer der wenigen Bezirke ist, die derzeit keine Pop-up-Radwege planen: Radstreifen, die in der Coronakrise von weniger Autos genutzten Fahrspuren auf Hauptverkehrsstraße eingerichtet werden. Offiziell sind sie temporär angelegt, die Verkehrsverwaltung hat die Ausnahmegenehmigung gerade bis Ende 2020 verlängert. Viele könnten jedoch dauerhaft bleiben, weil sie zur Umsetzung des Mobilitätsgesetzes ohnehin geplant waren. Lichtenbergs Bürgermeister Michael Grunst (Linke) mahnte vergangene Woche in diesem Punkt mehr Ehrlichkeit an. Zivkovic sagte auf Tagesspiegel-Anfrage, eine Entscheidung für Pop-up-Radwege hätte in Marzahn-Hellersdorf zur Folge, andere Projekte im Radverkehr aufschieben zu müssen.

Auch die Finanzierung nannte sie als Problem: „Die Einrichtung erfolgt durch SenUVK (die Senatsverkehrsverwaltung, Anm. d. Red.), aber der Unterhalt durch uns.“ Die Baken würden häufig umgefahren, das alles müsse kontrolliert und im Schadensfall ersetzt werden. „Und es kann auch keiner sagen, wann aus den temporären ständige Radwege werden, sodass der Kostenfaktor berechenbar wäre.“ Argumentative Schützenhilfe bekam Zivkovic durch eine Parlamentarische Anfrage ihres Parteifreundes Christian Gräff: Für die Straßenunterhaltung fehlen demnach Millionen. Doch auch die Mittel für den Radverkehr seien nicht ausreichend gestiegen, um einem solch zentralen Projekt gerecht zu werden, kritisierte die Aktivistin Ragnhild Soerensen von der Initiative „Changing Cities“ den Senat. Zivkovic wies zudem auf Grunsts Anmerkung hin, dass die Bürgerbeteiligung bei der schnellen Einrichtung der Pop-up-Radwege leicht zu kurz komme.

Neben den Grünen fordern auch die Linken in Marzahn-Hellersdorf, solche Spuren an Hauptverkehrsstraßen einzurichten. Der Abgeordnete und Bezirksvorsitzende Kristian Ronneburg und BVV-Fraktionschef Björn Tielebein forderten die Stadträtin deshalb auf, sich Hilfe zu holen. „Wenn das zuständige Straßen- und Grünflächenamt selbst nicht in der Lage sein sollte, temporäre Radwege zu schaffen, sollte es schnellstmöglich ein Amtshilfeersuchen an den Senat oder einen anderen Berliner Bezirk stellen“, teilten die Linken-Politiker in einer gemeinsamen Erklärung mit. „Gerade die seit vielen Jahren immer wieder zu Recht kritisierte Gefahrenstelle auf der Landsberger Allee auf Höhe der Marzahner Brücken könnte nun zumindest provisorisch für den Radverkehr sicherer gestaltet werden.“ Zivkovic müsse nun beweisen, dass sie auch „in der Praxis bereit“ sei, Fahrradpolitik zu machen. – Text: Ingo Salmen
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Dieser Text erschien im Tagesspiegel für Marzahn-Hellersdorf. Den gibt es als Newsletter kostenlos und in voller Länge unter leute.tagesspiegel.de
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