Namen & Neues

Unterstützung für Familien - und Kritik am Senat

Veröffentlicht am 02.06.2020 von Ingo Salmen

Ein Signal an Kinder, Jugendliche und Eltern, an Kitas, Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen hat die Bezirkspolitik am Donnerstag in der ersten BVV-Sitzung in der Coronakrise gesendet. Mehrheitlich wurde ein überfraktioneller Antrag – initiiert von der SPD, mitgetragen von CDU, Linken und Grünen – angenommen, mit dem die verschiedenen Lebensbereiche von Kindheit und Jugend gestärkt werden sollen. Auf Anregung von CDU-Fraktionschef Alexander J. Herrmann wurde dieser Punkt vorgezogen und als einziger noch nach den Berichten des Bezirksamts debattiert.

Der Antrag enthält unter anderem folgende Forderungen: Das Bezirksamt soll Kita-Trägern, die an Kapazitätsgrenzen stoßen, eigene Räumlichkeiten des Bezirks anbieten oder Räume Dritter vermitteln; den Erstklässlern sollen nach dem Wunsch der Politik auch Einschulungsfeiern ermöglicht werden, etwa unter freiem Himmel und über mehrere Tage gestreckt; alle Sportplätze des Bezirks sollen bis Unterrichtsschluss für den Schulsport geöffnet werden; den Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen soll die Reinigung (bisher oft durchs pädagogische Personal erledigt) abgenommen werden; schließlich soll der Bezirk beim Land dafür eintreten, dass auch digitale Angebote in das Budget der Kinder-, Jugend- und Familienförderung aufgenommen werden.

„Wir brauchen die Gemeinschaft der Menschen, wir brauchen ihre Kreativität und ihr Engagement“, sagte der SPD-Verordnete Günther Krug zu dem Antrag. Während das sicher alle unterschreiben konnten, brachte Kathrin Henkel für die CDU Schärfe in die Debatte. „Es regiert das Bildungschaos in unserer Stadt“, sagte Henkel, die als „Mutter zweier Jungs“ und Schulleiterin (einer Lichtenberger Grundschule) sprach. Zu oft schon habe die BVV über schlechte Schulen, zu wenige Lehrer und Unterrichtsausfall diskutieren müssen. „Ich spreche hier von sozialdemokratischer Bildungspolitik“, wetterte Henkel. „Pleiten, Pech und Pannen begleiten die Schulsanierungen hier in unserem Bezirk.“

Das war nur die Vorrede, dann kam sie auf die Coronakrise zu sprechen. „Wenn man dachte, es könnte nicht schlechter werden, dann war das ein Irrtum.“ Schulleitungen hätten ihre Informationen über Maßnahmen der Senatsverwaltung zuerst aus den Medien erfahren, dafür sei ihnen bei Verstößen gegen Corona-Auflagen mit bis zu 10.000 Euro Bußgeld gedroht worden. Die Sommerschule sei nicht mehr als eine PR-Aktion, eine „Corona-Schülergeneration“ könnte noch lange Sorgen bereiten. „Die Schulen und Kitas brauchen Antworten, wie es weitergeht“, sagte Henkel. Den Schulstadtrat Gordon Lemm (SPD) forderte sie auf, auf die Senatsverwaltung einzuwirken, dass das neue Schuljahr rechtzeitig vorbereitet werden könne und „nicht erst in den letzten Tagen der Ferien“.

Ihr sei nun auch klar, entgegnete die SPD-Fraktionsvorsitzende Jennifer Hübner, warum die CDU diesen Antrag bevorzugt debattieren wollte. Sie monierte, dass Henkel den Blick auf die Schulen verengt habe, während der Antrag auch das außerschulische Lernen in den Blick nehme. Allerdings nahm auch die Linken-Verordnete Sarah Fingarow das Wort von der „verlorenen Generation“ in den Mund, vor der das Kinderhilfswerk warne. „Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass es nicht so weit kommt. Dieser Antrag ist ein erster Aufschlag“, sagte Fingarow. „In vielen Familien liegen die Nerven blank, Eltern stehen am Ende ihrer Kräfte.“ Für die AfD befürwortete Jens Pochandke den Antrag. „In dieser Coronakrise zeigen sich eben die Versäumnisse der Vergangenheit“, sagte er. Es sollten nun Veränderungen herbeigeführt werden, „die sonst nicht möglich sind“. Was er damit meinte, führte er nicht weiter aus.

Ungewöhnlich scharf hatte auch Stadtrat Lemm zuvor schon in seinem Bericht die Verwaltung seiner Parteikollegin und Schulsenatorin Sandra Scheeres  kritisiert. „Die Art der Kommunikation, der Kurzfristigkeit, der wenig bis gar nicht abgestimmten Konzepte und Ideen und Zukunftsvisionen“ habe die Schulen und die Familien doch ungewöhnlich herausgefordert, sagte Lemm. Als Beispiel nannte er den Musterhygieneplan, der an einem Donnerstagabend eingetroffen sei und bis zum darauffolgenden Montag umgesetzt werden sollte.

An einer „Generaldebatte“ wollte der Stadtrat sich dann allerdings nicht beteiligen. Er lobte die Anregungen des Antrags. „Ich werde versuchen, so viel wie möglich umzusetzen“, sagte Lemm und wies zugleich darauf hin, dass das Bezirksamt auch schon einiges in Angriff genommen habe. So seien die 300.000 Euro, mit denen Ferienfahrten von Kindern finanziert werden, ausdrücklich nicht gestrichen worden (ein Anbieter ist der Träger Roter Baum Berlin, hier geht’s zu den Infos und Buchungen).

Es gibt auch gute Nachrichten in der Krise: Inzwischen hat der Senat beschlossen, die Ferienbetreuung im Hortbereich wieder in Gänze anzubieten. Von den davon unabhängigen Sommer- und Herbstschulen würden immerhin 1000 bis 1400 Kinder in Marzahn-Hellersdorf profitieren, sagte Lemm. An diesem Dienstag will der Senat zudem mit den Kita-Trägern erörtern, ob die Gruppengrößen, die bisher auf zehn Kinder begrenzt sind, erweitert werden können. Und vom Jugendwerk Aufbau Ost (JAO) berichtet „Die Hellersdorfer“, dass es in seinen zehn Kitas im Bezirk schon jetzt allen Kindern eine Betreuung ermöglicht. Die Hälfte hat einen Anspruch auf tägliche Betreuung, weil die Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten; die andere Hälfte kommt nach einem Wechselmodell, sodass jeden Tag 75 Prozent aller Kinder anwesend sind. Das allerdings geht nur, wenn auch die Erzieher*innen aus Risikogruppen arbeiten und nur im Einzelfall nicht kommen. Mehr zur JAO-Lösung gibt’s hier im Interview. – Text: Ingo Salmen
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Dieser Text erschien im Tagesspiegel für Marzahn-Hellersdorf. Den gibt es als Newsletter kostenlos und in voller Länge unter leute.tagesspiegel.de
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