Namen & Neues
Schulbau: Marzahn-Hellersdorf bittet Bildungsministerin um Hilfe
Veröffentlicht am 09.06.2020 von Ingo Salmen
Der Berliner Senat hat am Dienstag weitere Lockerungen beschlossen: Ab kommenden Montag, 15. Juni, dürfen Kitas wieder alle Kinder betreuen, spätestens in der Woche darauf, ab dem 22. Juni, sollen wieder alle Kinder im Regelbetrieb in die Einrichtungen gehen. Das teilte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Dienstagnachmittag nach der Sitzung des Senats mit. Unklar blieb zunächst, wie die Ausfälle von Erzieher*innen kompensiert werden, um diese Betreuung auch anbieten zu können. Nach den Sommerferien sollen zudem alle Schulen wieder zum Normalbetrieb zurückkehren. Die Abstandsregel von 1,5 Metern wird dafür in den Gebäuden aufgehoben. Sonderregelungen soll es für Sport- und Musikunterricht geben. (Mehr dazu in unserem Liveblog.)
Gerade mal anderthalb Wochen ist es her, dass Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), von der in der Coronakrise bisher noch nicht viel zu hören war, genau das gefordert hatte. „Nach den Ferien muss überall ein strukturierter Unterricht angeboten werden – und zwar so, dass möglichst ein volles Schulprogramm gewährleistet ist“, hatte Karliczek der „Rheinischen Post“ gesagt. „Wie auch immer.“ Ihr guter Rat: „Die Sommerferien können die Schulen auch nutzen, mehr Raumkapazitäten zu schaffen, indem sie zum Beispiel Container aufstellen“. Nun kann eine Bundesbildungsministerin alles Mögliche fordern, sie muss es nämlich nicht umsetzen.
Im Bezirksamt kam der Appell so gut an, dass es gleich einen Brief aufsetzte – und die Bundesministerin von der CDU bat, Marzahn-Hellersdorf doch bei einer schnellen Aufstellung von Containern zu unterstützen. „Aufgrund der Regularien im Vergaberecht und der Bauordnungen müssen wir an vielen Schulen Bauprozesse erfahren, die sehr langwierig sind. Für den Bau von Schulcontainern erleben wir aktuell eine Bauzeit von ca. 15 Monaten (von Ausschreibungs-, Bauplanungs-, Baubeantragungs- und Genehmigungsverfahren wie Brandschutzprüfung und Baugenehmigung)“, heißt es in dem Schreiben, das Schulstadtrat Gordon Lemm (SPD) auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte. Dringender Bedarf wird darin angemeldet für die Kiekemal-Grundschule, die Kolibri-Grundschule und die Grundschule an der Mühle. „Wir fordern Sie auf, alles in Ihrer Macht Stehende zu tun, um uns (und viele weitere Kommunen in Deutschland) durch Ihre Vorschläge und Tatkraft bei dieser schwierigen Aufgabe zu unterstützen.“
Und der bitterböse Schluss: „Im Namen aller Eltern, Kinder und Mitunterzeichnenden bedanken wir uns schon jetzt für die unterrichtsfertigen Schulcontainer zum Schuljahresbeginn im August, die dank Ihrer Initiative nun endlich in greifbare Nähe gerückt sind.“
Unterzeichnet haben das eine ganze Reihe von Politiker*innen, die zufälligerweise alle nicht der Partei der Ministerin angehören: neben Lemm auch Bürgermeisterin Dagmar Pohle, Immobilienstadträtin Juliane Witt, die Abgeordneten Kristian Ronneburg, Manuela Schmidt und Regina Kittler (alle Linke), die Abgeordneten Iris Spranger und Sven Kohlmeier (beide SPD) sowie der Grünen-Abgeordnete Stefan Ziller. Politisch ungebunden: die Bezirkselternsprecher*innen für Schule und Kita, Norman Heise und Stephanie Jehne. Es sei eben „durch die notwendig zu beachtenden Gesetze und Regeln keine schnelle Unterstützung möglich“, auch wenn viele das wollten, kommentierte Lemm bei Facebook den Brief. „Unsere Hoffnung ist, dass die Bundesministerin entweder hilfesuchende Kommunen direkt mit entsprechenden Containern unterstützen kann oder die gesetzlichen Regeln so ändern kann, dass wir schneller agieren können.“
Aufs Bezirksamt zielt hingegen weiterhin die Kritik der Mahlsdorfer Eltern. Mit einer „Sternfahrt-Demo“ wollen sie am Freitag kommender Woche, 19. Juni, mit dem Rad („unter Einhaltung der Abstandsrichtlinien, mit Kinderwagen und Anhängern, sehr laut und sehr bunt!!!“) zu einer „Zeugnisausgabe“ für die Schulpolitik und das Bauamt fahren. Losgehen soll es jeweils um 15 Uhr am Durlacher Platz, an der Kreuzung B1/B5 und weiteren, noch nicht benannten Punkten jeweils über den Hultschiner Damm zum Parler Feld, wo um 15.30 Uhr eine Abschlusskundgebung geplant ist.
In dem Aufruf schreibt die Vorsitzende der Elternvertretung der Kiekemal-Grundschule, Jana Loeschke, auch im Namen der Eltern der Mahlsdorfer Grundschule: „Wir – die Eltern des Kiezes – akzeptieren die aktuelle, unzuverlässige Planung und Arbeit des Bezirks nicht mehr! Seit Jahren wird die Schulplanung gegen die Wand gefahren.“ Immer seien andere schuld: mal der Senat, mal der Geruch (an der Elsenstraße), mal andere Ämter. Und dann in Großbuchstaben: „ES REICHT!“ Loeschke spricht von einer „verfehlten Bau- und Schulpolitik in Kaulsdorf und Mahlsdorf. Es würden „Verantwortung hin- und hergeschoben, Beantragungen und Ausschreibungen verschlafen und die Eltern mit Ausreden hingehalten“, beklagt die Elternsprecherin. „Wir wollen keine Erklärungen und Ausflüchte mehr, sondern Taten!“
Die Eltern sehen sich als entscheidender Motor in der Schulpolitik der vergangenen Jahre. „Wir als Eltern haben nur durch unseren konstanten und nachhaltigen Druck das erreicht, was das Schulamt als Erfolg verbucht!“, schreibt Loeschke. „Nur durch eine Initiative von Eltern kam es zur ISS, nur durch die Hilfe der Eltern der Kiekemal konnten die Container auf dem Gelände rechtzeitig aufgestellt werden, nur durch den Druck der Eltern musste sich jetzt für die Kiekemal bewegt werden.“
Sechs Punkte fordern die Eltern:
- Das Fliegende Klassenzimmer auf dem Lehnitzplatz solle in den Sommerferien aufgestellt werden, um auf einen Busshuttle zur Achard-Grundschule in Kaulsdorf verzichten zu können (das Bezirksamt nennt seit Monaten Ende März 2021 als Termin für die Fertigstellung und hält auch weiterhin daran fest; eine Antwort von Bildungsministerin Karliczek steht noch aus).
- Die geplante Grundschule an der Elsenstraße solle in das Schnellbauprogramm des Senats aufgenommen werden (die Ankündigung im Dezember war in der Tat dünn: Einen Fertigstellungstermin nannten Land und Bezirk nicht).
- Die angekündigte Schulbau an der Ecke von Landsberger Straße und Bisamstraße solle zur Versorgung im Kiez und nicht als Drehkreuzschule genutzt werden.
- Während der Sanierung der Franz-Carl-Achard-Grundschule sollten Interims-Klassenräume in der Umgebung lieber aufgestockt werden, statt auch diese Kinder zum Unterricht an anderem Ort zu fahren.
- Die langersehnte Turnhalle für die Ulmenschule solle im Schnellbau-Verfahren realisiert werden.
- Außerdem solle mit der Planung eines Gymnasiums im Kiez begonnen werden, „um die bereits jetzt fehlenden Gymnasialplätze wenigstens in Zukunft aufzufangen“.
Die CDU merkte nach unserer jüngsten Berichterstattung an, dass die an der Landsberger Straße und Bisamstraße geplante Gemeinschaftsschule erst dann einziehen kann, wenn das Gebäude nicht mehr als Auslagerungsstandort für die Sanierungen im Rahmen der Schulbauoffensive gebraucht würde „Ja, es ist Augenwischerei, wenn man suggeriert, hier entstünde eine Schule zur Entlastung des Kiezes und auf der anderen Seite aber weiß, dass diese Schule eben auf absehbare Zeit lediglich der Auslagerung dient“, schrieb mir der frühere Stadtrat Johannes Martin. In der soeben fertiggestellten Machbarkeitsuntersuchung für diesen Drehscheibenstandort, die dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es in der Stellungnahme des Stadtplanungsamtes unter Bürgermeisterin Pohle, dass der Bedarf an vier Geschossen für die Drehscheibe im Konflikt mit den im Bebauungsplan festgelegten drei Geschossen stehe. Darüber hinaus sei der Widerspruch zwischen einem 5-zügigen Drehscheibenstandort und einer dauerhaften Bebauung mit einer 3-zügigen Grundschule „noch zu klären“.
In einer Antwort auf eine Parlamentarische Anfrage des CDU-Abgeordneten Mario Czaja, dessen Büroleiter Martin ist, hieß es Mitte Mai zur Landsberger Straße/Bisamstraße etwas wolkig, sie sei „derzeit“ für die Neugründung der Gemeinschaftsschule vorgesehen, doch: „Eine zeitlich befristete Nutzung zur Auslagerung von Schulen ist entsprechend der freien Kapazitäten an der neuen Schule nicht ausgeschlossen.“ Jetzt rächt sich, dass bis heute in Abstimmung von Senat und Bezirken keine belastbare Planung für die Drehscheibenstandorte vorliegt – obwohl Marzahn-Hellersdorf hier Vorreiter war. Bewilligt ist bisher nur die Sebnitzer Straße, Dingolfinger und Landsberger sind erst seit Jahresbeginn in der Prüfung. Nach bisheriger Planung sollen die Drehscheiben aber zwölf Jahre genutzt werden.
Immerhin: Am Montag teilte Stadtrat Lemm mit, dass zumindest an der Fuchsberg-Grundschule in Biesdorf die Aufstellung von Containern begonnen hat. Sie sollen wie geplant zum neuen Schuljahr bezugsfertig sein. Der gerade bezogene Neubau am Standort Habichtshorst ist bereits zu klein geworden.