Namen & Neues
Debatte um Radwege und parkende Lkw, die keine Lkw sind
Veröffentlicht am 23.06.2020 von Ingo Salmen
SPD, Linke und Grüne machen weiterhin Druck auf Straßenstadträtin Nadja Zivkovic (CDU), auch in Marzahn-Hellersdorf temporäre Radwege an Hauptstraßen einzurichten – die sogenannten Pop-up-Radwege. Gleich zwei prominente Tagesordnungspunkte waren bei der BVV am Donnerstag diesem Thema gewidmet: eine Große Anfrage zum Lkw-Parken auf öffentlichem Straßenland als Priorität der SPD und ein Antrag aller drei Fraktionen zu den Radwegen selbst. Die Infrastruktur für den Radverkehr im Bezirk sei „unterentwickelt“, sagte die Sozialdemokratin Marlitt Köhnke.
Ihre Forderung nach dem Bau temporärer Radwege untermauerten die Fraktionen mit dem Hinweis auf das Mobilitätsgesetz. Zugleich versuchten sie die Sorge zu entkräften, die Bürger*innen würden nicht ausreichend beteiligt – ein Argument, das Lichtenbergs Bürgermeister Michael Grunst (Linke) kürzlich im Zusammenhang mit der Frankfurter Allee vorgebracht hatte. Zivkovic hatte sich ihm angeschlossen. „Da die spätere Überführung in eine dauerhafte Infrastruktur eine neue straßenverkehrsbehördliche Anordnung inklusive aller erforderlichen Anhörungsverfahren erfordert, wird die Bürgerbeteiligung langfristig sichergestellt“, schrieben SPD, Linke und Grüne deshalb.
Sie setze sich auch für die Sicherheit von Radfahrer*innen ein, beteuerte Zivkovic. Allerdings zweifelte die Christdemokratin an, dass die im Antrag genannten Straßen für Pop-up-Radwege geeignet seien. Insbesondere der auch aufgeführte Marzahner Knoten sei zu komplex für solch eine Lösung. Zivkovics zentrales Argument bezog sich jedoch auf die Zeit nach dem Bau: Rechtlich würden die Pop-up-Radwege wie eine Baustelle behandelt, sagte sie. Deshalb müsse zweimal täglich eine Kontrolle der Baken erfolgen, um umgestürzte aufzustellen und zu ersetzen und somit Hindernisse zu beseitigen. Die Stadträtin geht davon aus, dass der Bezirk diese Kosten tragen müsse und das auf unbestimmte Zeit – weil nicht klar sei, wie lange das Provisorium Bestand haben werde. Zwar würden andere Bezirke nur einmal pro Woche kontrollieren, doch damit stelle sich die Frage nach der Haftung – womöglich durch den Bezirksamtsmitarbeiter, der dies abweichend vom Gesetz unterschrieben habe. „Was passiert, wenn was passiert?“, fragte Zivkovic.
SPD und Linke wiesen zumindest das Kostenargument zurück. Wer hat recht? Auf Tagesspiegel-Anfrage erklärte die Senatsverkehrsverwaltung: „Als Eigentümer des Straßenlandes trägt das Land Berlin bei der Einrichtung von Radwegen alle damit verbundenen Kosten.“ Zwar würden die Bezirke Pop-up-Radwege grundsätzlich „aus ihren eigenen Straßen-Unterhaltungstiteln“ finanzieren, wie Behördensprecher Jan Thomsen mitteilte. „Falls diese Mittel aber nicht ausreichen, sorgen wir für einen Ausgleich aus den Radverkehrstiteln im Landeshaushalt.“ Für Aufbau und Unterhaltung dieser Radwege stelle das Land bis Ende des Jahres zwei Millionen Euro bereit. Daraus könnten auch Firmen, die Kontrollen und Wartung übernehmen, finanziert werden.
22 Kilometer Pop-up-Radwege gibt es aktuell in Berlin. Das gab Verkehrsstaatssekretär Ingmar Streese (Grüne) Ende vergangener Woche bei der „Sekttaufe“ für den Kantstraßen-Radweg bekannt. Der Verkehrsverwaltung zufolge dürfte das vorhandene Budget für den Bau von 30 bis 50 Kilometern temporärer Radfahrstreifen reichen. „Ziel ist, bis dahin auch schon möglichst viele provisorische Radfahrstreifen in eine dauerhafte Version umzuwandeln, womit sich auch sofort die Kostenstruktur ändert – allerdings zahlt immer noch das Land“, sagt Sprecher Thomsen von der Verkehrsverwaltung.
Und wenn es doch übers Jahresende hinaus bei einem Provisorium bleibt? SPD, Grüne und Linke verweisen selbst darauf, dass bei einer Umwandlung in dauerhafte Radwege auch Beteiligungsverfahren nachgeholt werden sollten – Bau, Beteiligung und Umbau werden wohl kaum in einem halben Jahr zu schaffen sein. Was nach dem Jahreswechsel geschehe, werde man jetzt nicht entscheiden, sagt Thomsen. „Aber in jedem Fall so rechtzeitig, dass der Bezirk darauf reagieren kann.“ Das wird dann wohl eine politische Frage sein: Können die Parteien, die nun im Bezirk die Radwege fordern, als Regierungskoalition im Land auch eine Anschlussfinanzierung im kommenden Jahr sicherstellen?
Noch etwas stellt die Verkehrsverwaltung klar: Pop-up-Radwege gelten rechtlich nicht als Baustellen, teilte sie am Dienstag mit. Insofern fänden die Regeln für deren Kontrollen lediglich „als grobe Orientierung ihre Anwendung“. Ob der Bezirk nun selbst tätig wird oder eine Firma beauftragt: Die Intervalle der Kontrollen lege er „nach eigenem Ermessen“ fest. Das Land macht hier also keine klare Vorgabe, sondern überlässt die Entscheidung im Detail dem Bezirk – wobei Ermessensentscheidungen Alltag für jede Verwaltung sind. Insofern wäre es interessant zu wissen, welche Erfahrungen andere Bezirke bei ihren Kontrollen machen. „Sollten durch eine nicht ordnungsgemäße Sicherung Schäden gegenüber Dritten verursacht werden, haftet dafür zunächst das Land Berlin im Rahmen der Amtshaftung“, schreibt die Verkehrsverwaltung weiter. Mitarbeiter*innen des Bezirksamtes hafteten jedoch nicht für Schäden.
Sofern das Bezirksamt nicht von sich aus tätig wird, ist die politische Entscheidung bis zum 20. August verschoben. Dann tagt die BVV zum ersten Mal nach der Sommerpause. Der Antrag zu den Radwegen wurde nämlich erst mal an die Ausschüsse verwiesen. Der erste, der Verkehrsausschuss, tagt bereits an diesem Mittwoch, 24. Juni, um 18 Uhr im Bezirklichen Informationszentrum. Publikum kann nicht teilnehmen. Wie die Vorsitzende Janine Behrens (Linke) mitteilte, hat der Ausschuss jedoch einer Live-Übertragung zugestimmt – auf dem Twitter-Kanal @radbezirk_mahe, der vom Grünen-Politiker Pascal Grothe betrieben wird.
Ziemlich im Kreis drehte sich streckenweise die Diskussion um parkende Lastwagen auf öffentlichen Straßen. Sie blockieren die rechten Spuren, die Befürworter*innen des Radverkehrs lieber für Pop-up-Radwege nutzen würden, etwa an der Märkischen Allee. In der Linken-Anfrage war vom „wilden“ Parken von Lkw die Rede. Beides musste Zivkovic korrigieren: In den meisten Fällen würden die Fahrzeuge rechtmäßig abgestellt – und oft seien es auch keine Lkw, auch wenn sie so aussehen würden. Bei genauerer Betrachtung stelle das Ordnungsamt häufig fest, dass die Transporter unterhalb der Grenze von 7,5 Tonnen lägen, sagte Zivkovic. Die Hersteller hätten sich darauf eingestellt. Damit fielen sie aber auch nicht unter ein Parkverbot für Lkw.
Das bisher ungelöste Problem: wohin mit den parkenden Transportern, wenn sie von den Hauptstraßen verbannt werden sollen? Viele Kraftfahrer nehmen ihre Fahrzeuge offenbar mit nach Hause, um sich das tägliche Pendeln zum Firmengelände zu ersparen. Die verbreitete Sorge lautet: Am Ende könnten sie womöglich die Wohnstraßen verstopfen. SPD-Fraktionsvize Klaus Mätz forderte deshalb, Verbotsschilder für Lkw aufzustellen – was aber weitgehend wirkungslos bleiben dürfte, weil eben viele Transporter nicht als Lkw klassifiziert würden, wie Zivkovic nur wiederholen konnte. Nach Ansicht der Stadträtin würde allein eine Änderung der Straßenverkehrsordnung helfen.
Scharf ließ sich der CDU-Fraktionsvorsitzende Alexander J. Herrmann zur Debatte ein: Ein „Kreuzzug gegen alles, was mehr als zwei Räder hat und motorisiert ist“, würde der Wirklichkeit im Bezirk nicht gerecht, sagte er in Richtung der Linken. Auch Vorschläge wie die Nutzung von Supermarkt-Parkplätzen über Nacht sei nicht praktikabel, da Supermärkte inzwischen bis spätabends geöffnet seien. Für einen eigenen Lkw-Parkplatz gebe es bisher einfach keine geeignete Fläche, sagte Zivkovic. Bürgermeisterin Dagmar Pohle sieht hier indes das letzte Wort noch nicht gesprochen: „Wir werden diese Diskussion im Bezirksamt führen müssen.“ Die Linken-Politikerin gab genau solch einen Parkplatz als Ziel aus.