Namen & Neues

Der Streit ums Stille Gedenken wird endgültig hässlich

Veröffentlicht am 11.08.2020 von Caspar Schwietering

Es sind erstaunlich harte Worte, mit denen eine Antifa-nahe Seite gegen einen Mann vorgeht, der sich unbestreitbar große Verdienste erworben hat, wenn es um die Erinnerung an die Opfer des Faschismus in Marzahn-Hellersdorf geht.

Auf der Seite „Kein Raum der AfDwurde am Donnerstag zum Protest gegen eine Veranstaltung mit Wolfgang Brauer aufgerufen. „Zum 75. Jahrestag der Befreiung: Ein umstrittener Ort der Erinnerung“ – unter dieses Motto stellten die Veranstalter  (die „Helle Panke“ und die „Naturfreunde Berlin“) einen von Brauer organisierten Spaziergang über den Parkfriedhof Marzahn. Brauer erzählt dabei wie der als Notfriedhof angelegte Parkfriedhof zu einem Gedenkort für die Opfer des Faschismus wurde.

Der Historiker Brauer bringt dafür viel Expertise mit. Denn der Vorsitzende des Heimatvereins Marzahn-Hellersdorf hat über die Jahre viel für das Gedenken an die NS-Opfer getan und manchen Gedenkort auf dem Friedhof selbst initiiert. Doch für seine Gegner scheint das inzwischen nicht mehr zu zählen. „In Anbetracht der antifaschistischen Ausrichtung der Veranstaltung ist seine Wahl an diesem Ort gedenkpolitisch untragbar“, heißt es in dem nicht namentlich gezeichneten Aufruf auf der Seite „Kein Raum der AfD“. Brauer habe als Vorsitzender des Heimatvereins Marzahn-Hellersdorf aktiv dazu beigetragen, „dass die AfD die Erinnerung an die Opfer nationalsozialistischer Verbrechen missbrauchen konnte“, heißt es weiter. Diesen Argumenten schloss sich bei Twitter zudem der AstA der Alice-Salomon-Hochschule an.

Hintergrund ist der Streit um die Veranstaltung „Stilles Gedenken“, die seit über zehn Jahren Ende Januar auf dem Parkfriedhof stattfindet. Brauers Heimatverein trat dabei stets zusammen mit der Bezirksverordnetenversammlung als Veranstalter auf. Doch in den vergangenen zwei Jahren kam es auf dem Friedhof zu Protesten und Tumulten, weil auch Verordnete und Abgeordnete der AfD teilnahmen, wir berichteten.

Der Heimatverein hat sich inzwischen aus der Organisation der Veranstaltung zurückgezogen. Doch Brauer verteidigt weiterhin die Teilnahme der AfD-Politiker*innen. Man könne eine Partei, die fast von einem Viertel der Wähler*innen in Marzahn-Hellersdorf die Stimme erhalten habe, nicht ausschließen, sagte er mir am Montag. Im von Brauer geleiteten Heimatverein sind außerdem weiter AfD-Politiker wie Gunnar Lindemann Mitglied. Als unpolitischer Verein könne man Mitglieder nicht allein aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit hinauswerfen, sagte Brauer. Lediglich der frühere AfD-Politiker Bernd Pachal wurde demnach ausgeschlossen, nachdem bekannt geworden war, dass das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg seiner Entfernung aus dem Polizeidienst zustimmte, weil er den Holocaust geleugnet und führende Personen des NS-Regimes verherrlicht hatte.

Brauers Haltung macht ihn für die Antifa offensichtlich nun zur Persona non grata. Im Gespräch zeigte sich Brauer überrascht, „mit welcher Härte ich da im Internet attackiert werde – und das so billig und primitiv“. Brauer stört sich auch daran, dass seine Kritiker anonym bleiben. Er habe von dem Aufruf erst am Sonnabend erfahren, sagte er.

Bei der Führung seien dann einige „stille Begleiter“ mitgelaufen. Nur einer habe sich zu erkennen gegeben. „Das war schon ein bisschen unheimlich.“ Im Anschluss kam es zwar zu einer kurzen Debatte. Aber das sei keine Diskussion gewesen, sondern mehr ein Austausch von Standpunkten. Für eine echtes Gespräch sei es nach der zweistündigen Führung aber auch zu heiß gewesen, meinte Brauer.

Und so spaltet die Teilnahme der AfD an der Gedenkveranstaltung weiterhin die Antifaschisten im Bezirk. Am Wochenende erhielt Brauer allerdings auch Rückendeckung. „Wolfgang ist und bleibt Antifaschist. Daran ändern auch manchmal unterschiedliche Auffassungen nichts“, schrieb Kristian Ronneburg, der Bezirksvorsitzende der Linken bei Facebook. Brauers Gegner machten das sehr komplizierte Problem der AfD-Beteiligung einseitig an ihm fest. Brauer werde damit zum Sündenbock, sagte er mir gestern Abend.

Ähnlich äußerten sich die Naturfreunde, die den Spaziergang mitorganisierten. „Wolfgang ist ein über Jahrzehnte arbeitender Antifaschist“, schrieb Uwe Hiksch in einem Statement. Beim Streit um das „Stille Gedenken“ habe man zwar eine andere Position. Aber diese solle „eine starke linke und antifaschistische Bewegung solidarisch austragen und – wenn nötig – auch aushalten können“. Hiksch möchte deshalb nun eine Diskussionsveranstaltung organisieren.