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Poker um den Chefposten im Rathaus: Vorteil SPD
Veröffentlicht am 05.10.2021 von Ingo Salmen
Die Situation ist vertrackt: Drei Parteien waren bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung fast gleichauf. Nach den Stimmenanteilen lag die CDU mit 20,8 Prozent knapp vor der SPD mit 20,3 Prozent und der Linken mit 19,9 Prozent. Nur drückt sich ein Vorsprung hinterm Komma nicht immer gleich in Sitzen aus: CDU und SPD haben beide zwölf Verordnete, die Linke elf.
Da gehen die Sichtweisen schnell auseinander. „Wir haben als stärkste Fraktion den Anspruch, mit Nadja Zivkovic die Bürgermeisterin zu stellen“, sagt CDU-Kreischef Mario Czaja. Damit meint er natürlich die Stimmenanteile. „Aber wir wissen auch, dass wir keine eigene Mehrheit haben.“ Den Gleichstand bei den Sitzen versucht die SPD für sich zu nutzen: Auch ihr Spitzenkandidat Gordon Lemm hatte bereits angekündigt, dass er weiterhin vorhat, Bürgermeister zu werden.
Nur durch eine Kleinigkeit ist die SPD überhaupt dazu überhaupt in der Lage: Hätte Lemm nicht bei der Abgeordnetenhauswahl 70 Stimmen hinter Gunnar Lindemann von der AfD gelegen und das Direktmandat in Marzahn verpasst, hätte die SPD kaum Anspruch auf den Posten anmelden können. Schließlich war der gesamte Wahlkampf auf ihren Familienstadtrat zugeschnitten, der die SPD als „Familienpartei“ positionierte. Als weiteres Argument kann ihr dienen, dass sie ebenfalls hinzugewann, wenn auch nicht so stark wie die CDU.
Der Poker ums Rathaus Hellersdorf ist nun in vollem Gange, erste Gespräche werden geführt. Und obwohl nur zweite Siegerin, hat die SPD die bessere Ausgangposition. Wenn sie sich mit Linke (11 Sitze), Grünen (4 Sitze) und Tierschutzpartei (3 Sitze) arrangieren kann, käme ihr Bündnis auf 30 Sitze – als Bürgermeister-Mehrheit reichen 28. Grundsätzlich stammen alle Parteien aus demselben politischen Lager, das dürfte eine Verständigung erleichtern.
Ein Knackpunkt könnte der Wohnungsbau sein, die Tierschutzpartei lehnt weitere Verdichtungen und Versiegelungen ab, die Linke hingegen hat unter Bürgermeisterin Dagmar Pohle so viel Wohnungsbau ermöglicht wie kein anderer Bezirk. Allerdings war ihre Spitzenkandidatin Juliane Witt im Wahlkampf bereits davon abgerückt. Stichwort Versiegelung: Ob die Tierschutzpartei ein Kombibad im Wuhletal mittragen würde? Eine klare Positionierung gibt es dort noch nicht, für die Partei ist es ein Dilemma zwischen einem lebenswerten Bezirk für die Menschen und Natur- und Tierschutz. Für Lemm ist es jedenfalls das große Projekt, auf das er kaum verzichten kann.
Bei der CDU sind die Hürden jedoch ungleich höher. Leicht für sich gewinnen sollte sie die FDP mit ihren drei Verordneten, die in der ganzen Stadt als Partei von Sebastian Czaja wahrgenommen wird, dem Bruder des CDU-Chefs im Wuhletal. Die Union bräuchte jedoch mindestens eine der beiden großen Fraktionen an ihrer Seite: Bei der SPD dürfte jedoch die Motivation ziemlich dürftig sein, Mehrheitsbeschaffer für Zivkovic zu sein, wenn sie doch selbst einen Kandidaten im Rennen hat. Und auch die Linke hatte sich in der zurückliegenden Wahlperiode immer wieder an der Stadträtin abgearbeitet: In frischer Erinnerung sind etwa noch die Auseinandersetzungen um die Sperrung des Biesdorfer Baggersees für Badende, für die Zivkovic ganz persönlich hart kritisiert wurde, und um das Engagement für den Ausbau von Radwegen im Bezirk. Die Grünen sind da auf einer ähnlichen Linie wie die Linke.
Eines schließen Czaja und Zivkovic allerdings klar aus: Gespräche mit der AfD, der Nummer vier im Bezirk mit zehn Sitzen in der BVV, soll es nicht geben.