Namen & Neues

Nein zu Verschwörungsdenken - Anwohner:innen demonstrieren für solidarisches Miteinander im Bezirk

Veröffentlicht am 11.01.2022 von Johanna Treblin

Tausende Menschen gingen am Montagabend in Berlin wieder auf die Straße, um gegen die geltenden Corona-Maßnahmen und eine mögliche Impfpflicht zu demonstrieren. In allen zwölf Berliner Bezirken fanden ab 18 Uhr meist unangemeldete, als „Spaziergänge“ beworbene Versammlungen statt. Ein Großteil der Proteste wurde zuvor über Telegram koordiniert.

Doch auch der Widerstand dagegen war gewachsen. So auch in Hellersdorf. Seit mehreren Wochen schon laufen unangemeldete Demonstrationen durch Hellersdorf, Marzahn und teils auch Springpfuhl und Ahrensfelde. Ihre Zahlen variieren stark und sind eigenen Angaben zufolge zuletzt etwas angestiegen, in Marzahn und Hellersdorf sollen je rund 100 Menschen dabei gewesen sein.

Zum ersten Mal versammelte sich nun eine Gegenkundgebung auf dem Alice-Salomon-Platz. Aufgerufen hatte unter anderem das Bündnis für Demokratie gemeinsam mit Anwohner:innen sowie lokale Antifagruppen. Mit dabei waren auch die Bundestagsabgeordnete Petra Pau sowie die Bezirksverordnete Regina Kittler, beide von der Linken.

Eine Rednerin adressierte Passant:innen und potenzielle Teilnehmer:innen der Corona-Protestversammlung, die um 18 Uhr starten sollte. „Jetzt denkt ihr vielleicht: Moment mal, ich gehe auch gerne spazieren. Was ist daran falsch?“, sagte sie ins Mikrofon, und weiter: „Keine Sorge, spazieren gehen ist cool, mache ich auch gerne. Nur leider ist das, was hier heute stattfinden soll, weder cool noch ein Spaziergang.“ Sie erklärte, dass es sich um eine unangemeldete Demonstration handele, an der auch Faschist:innen und Neonazis teilnähmen. Auf dem Twitter-Account von Kim Winkler hieß es später, es hätten „Personen aus den Spektrum vom III. Weg und NPD“ teilgenommen.

Die Rednerin sagte weiter, die Teilnehmenden sähen sich als Opfer einer „herbeifantasierten Corona-Diktatur“. Mit dem Begriff „Spaziergang“ versuchten sie zu verschleiern, „was für menschenfeindliche und egoistische Positionen sie hier vertreten“. Außerdem erhofften sie sich eine Anschlussfähigkeit von nicht politisierten Bürger:innen. Dann erklärte sie, dass die Teilnehmenden der Kundgebung des Bündnisses für Demokratie selbst auch Kritik an den Corona-Maßnahmen hätten. „Uns geht es nicht um die Suche nach Schuldigen und das Verbreiten von Verschwörungsdenken. Uns geht es um soziale Gerechtigkeit. Um den uneingeschränkten Zugang zu Gesundheitsversorgung, Tests und Masken.“

Unter den Teilnehmenden des Gegenprotests war auch Ingrid Richter. Sie hatte von einer Freundin vom Gegenprotest gehört und war extra durch die ganze Stadt aus Spandau angereist. „Wir müssen uns zusammenschließen und gemeinsam handeln.“ Auch sie sei genervt vom Hin und Her mit den Maßnahmen, sagt sie. Pflegekräfte hätten es in der Pandemie schwer, es mangele an Personal in den Krankenhäusern.

Sie trage gerne dazu bei, dass die Pandemie endlich eingedämmt würde. Dafür müsse man sich eben impfen lassen und Maske tragen. Besser noch wäre es, wenn es auch mehr Unterstützung für arme Länder gäbe. Mit ihrer Teilnahme am Gegenprotest wolle sie „die Verirrten, die bei den Montagsprotesten mitlaufen“ auffordern, „sich zu überlegen, mit wem sie marschieren“. Jetzt könne sie auch ihren Enkeln erzählen, dass sie mal wieder auf einer Demo war.

Um kurz nach 18 Uhr machten sich die Verschwörungsgläubigen auf den Weg durch den Kiez. Die Polizei begleitete sie zum Teil und versicherte auf Nachfrage, sie zu stoppen, zu klären, ob sie eine Versammlung anmelden wollen. Wenn nicht, müsste die Versammlung eigentlich aufgelöst werden. Doch offenbar war das nicht der Fall. Die Impfgegner:innen liefen bis zur Zossener Straße und in einem Bogen zurück. Kurz vor der Rückkehr auf den Alice-Salomon-Platz löste sich die Versammlung selbst auf.

Auf Nachfrage teilte ein Sprecher der Polizei mit: „Da Hygieneregeln zum Teil nicht eingehalten wurden, erfolgten direkte und konsequente Ansprachen, was dazu führte, dass sich die Personen entfernten und gegen 19.30 Uhr niemand mehr festzustellen war.“ Eine Anmeldung der Versammlung habe es nicht gegeben, bestätigte er am Telefon. Da sich die Gruppe nach direkten Ansprachen selbst zerstreut habe, sei eine Auflösung nicht notwendig gewesen.

Am Rande der Kundgebung des Bündnisses für Demokratie kam es offenbar auch zu Bedrohungen von Journalist:innen durch Teilnehmende der Verschwörungs-Demo, wie Kim Winkler auf Twitter schreibt. Außerdem berichtet Jörg Reichel, Geschäftsführer Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di Berlin-Brandenburg, von Behinderung von Pressearbeit durch die Polizei Berlin. Ein Beamter soll sich auch ableistisch gegenüber einem Journalisten verhalten haben.