Namen & Neues

Hilfe für Ukraine: Mit Ehrenamtlichen aus Biesdorf und Mahlsdorf unterwegs zur Grenze

Veröffentlicht am 08.03.2022 von Johanna Treblin

Am Donnerstag, früh morgens um 2 Uhr, treffen sie sich zu siebt am U-Bahnhof Elsterwerdaer Platz, sie kommen aus Mahlsdorf und Biesdorf: Die Brüder Pascal und Philipp Grothe, Manuela Affeld, Zoltan Lanyi, Julius Wallendorf, Frank Basner und Stephan. Ihre Autos sind bis unters Dach beladen, Stephan fährt mit Anhänger und Dachgepäckträger. Sie haben Babynahrung verstaut, warme Socken, Trockenfrüchte, Windeln, Tampons. Es geht zur polnisch-ukrainischen Grenze. Auf dem Rückweg wollen sie Flüchtende mit zurück nach Berlin nehmen.

Manuela Affeld verteilt Kühlboxen voll mit belegten Broten, die Mitglieder der evangelischen Versöhnungsgemeinde geschmiert haben. Es gibt außerdem Äpfel, Wasser, Saft. Pascal Grothe richtet eine Telegram-Gruppe zur Vernetzung für unterwegs ein, Stephan schickt allen die Koordinaten für ihr erstes Ziel: ein Erstaufnahmezentrum kurz vor dem Grenzübergang in Hrebenne. Bis sie dort ankommen, dauert es neun Stunden, mehrere Halte an Tankstellen oder Rastplätzen und viele, viele, viele Worte, um die Fahrer:innen wach zu halten. Auf LED-Anzeigen über der Autobahn werden Hilfs-Telefonnummern für ukrainische Flüchtlinge eingeblendet. Aus der Gegenrichtung kommen Reisebusse, Armeefahrzeuge. Stau gibt es nicht.

1,5 Millionen Menschen sollen bis Tag der Fahrt bereits aus der Ukraine geflohen sein. Nach Angaben der polnischen Regierung hatten bis Donnerstag 575.000 Flüchtlinge aus der Ukraine einen der acht Grenzübergänge zwischen den beiden Ländern überquert. Sie kommen zu Fuß, im eigenen Pkw, mit dem Bus oder Zug. Hrebenne liegt im Südosten Polens und etwa auf halber Strecke zwischen Belarus im Norden und der Slowakei im Süden.

In Lubycza Królewska, acht Kilometer vor Hrebenne, haben die Malteser ein Erstaufnahmezentrum in der Turnhalle einer Grundschule eingerichtet. Davor sitzt Tawil, stützt den Kopf in die Hände und kann vor Müdigkeit kaum aufblicken. Er hat in der Ukraine studiert, jetzt ist er vor dem Überfall Wladimir Putins auf die Ukraine geflohen. Er ist gerade erst angekommen. Wohin er jetzt will? Er schüttelt den Kopf. „Ich habe zwei Tage nicht geschlafen, wohin es geht, überlege ich später“, sagt er in gebrochenem Englisch.

Hinter der Turnhalle werden Spenden angenommen. Ein Minivan folgt dem nächsten. Zuerst muss jemand gefunden werden, der Deutsch oder Englisch spricht – die Gruppe aus Berlin spricht kein Polnisch. Man googelt das polnische Wort für Windeln, versucht, „Feuchttücher“ auf Englisch zu umschreiben. Die Ehrenamtlichen vor Ort überlegen es sich anders. Statt gleich zu sortieren, sollen die Berliner:innen ihre Spenden einfach alle neben dem Eingang stapeln.

Ein Helfer kümmert sich um die Gruppe, er spricht sehr gut Englisch. Seinen Namen will er nicht nennen, er will auch nicht fotografiert werden. „Ich bin kein Held.“ Um mit der Presse zu sprechen, sucht er einen Kollegen, der Deutsch spricht. Pawel Esse ist Verleger in Warschau, er hat mit deutschen Verlagen zusammengearbeitet, Bertelsmann, C.H. Beck. Nun ist er ein paar Tage hier, um ansprechbar zu sein und Menschen, die ankommen, an die richtigen Stellen zu verweisen. „Es ist das Beste, was ich machen kann. Etwas tun, was wirklich wichtig ist.“

In der Turnhalle sind Feldbetten aufgebaut. Hier sind etwa 400 Menschen untergebracht, heißt es, vor allem Frauen und Kinder. Manche schlafen, einige sitzen auf Bierbänken, offensichtlich erschöpft, wenige unterhalten sich, und wenn, dann leise. Ganz hinten ist ein Buffet aufgebaut, es gibt Kartoffelsuppe, Brot, Krautsalat. Die Küchencrew posiert für ein Foto. Vorn drängen sich die Menschen, hier werden sie registriert, können angeben, ob sie ein Ziel haben, Verwandte in Polen, Deutschland oder anderswo. Direkt neben ihnen liegt eine hochschwangere Frau seitlich auf einer Liege, weint, hält sich den Bauch.

Ein Helfer kommt auf die Berliner:innen zu: ob sie Menschen mit zurück nach Berlin nehmen könnten? Fünf oder sechs wollten direkt nach Berlin, heißt es, ein paar von dort weiterreisen in andere Städte Deutschlands. Pascal und Philip Grothe sagen zu, auch Frank Basner und Julius Wallendorf. Stephan will noch weiterfahren, woanders Spenden abgeben, Menschen in Przemyśl abholen. Manuela Affeld und Zoltan Lanyi können nicht weiterfahren – ihr Auto zeigt einen Motorschaden an. Der ADAC hilft schnell, das Auto wird in die Werkstatt gebracht. Am nächsten Tag ist es wieder fit und sie können doch noch Flüchtende einladen.

Doch noch ist Donnerstag. Die Frauen und Kinder steigen in die Autos. Ein Mädchen kommt wieder raus, ein Handy in der Hand. Julius tippt ein Passwort ein, das Mädchen lächelt und setzt sich wieder ins Auto. Er hatte für die Mitfahrerinnen seinen Handy-Hotspot geöffnet, damit sie Verbindung ins Netz haben, sagt er, doch offenbar war es schief gegangen. Jetzt klappt es aber.

Manche der Ukrainer:innen haben Verwandte in Berlin, andere wollen von Berlin aus weiter nach Hamm und Düsseldorf fahren. Stephan selbst fährt noch weiter. Die Gruppe bleibt per Telegram in Kontakt. Gegen halb 2 Uhr nachts meldet sich Frank Basner: „Die vier sind safe beim Hbf und ich habe sie an Volunteers übergeben. Danke für die Möglichkeit, was Gutes zu tun!“ Pascal Grothe antwortet, dass auch sie ihre Fahrgäste gerade bei ihren Verwandten in Charlottenburg-Wilmersdorf abgeliefert haben. „Sie haben uns ein Herz in ukrainischen Farben geschenkt.“ Das haben sie gebastelt, als sie sich – noch in der Ukraine – im U-Bahnschacht vor den russischen Bomben versteckt haben.