Namen & Neues
Niemand hat die Absicht, das Bezirksamt abzuschaffen - nur die FDP
Veröffentlicht am 31.01.2023 von Johanna Treblin
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir glauben, dass die Verwaltung in Berlin zu komplex und bürokratisch ist und dass dies die Lebensqualität der Bürger und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beeinträchtigt. Unser Ziel ist es, die Verwaltung zu vereinfachen und zu modernisieren, damit sie schnell, effektiv und bürgernah arbeitet. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Verwaltung in Berlin auf den neuesten Stand der Technologie gelangt und die Bürger und Unternehmen die Möglichkeit haben, mit der Verwaltung zu interagieren.
Woran denken Sie bei diesen Worten? An Verwaltungsreform und FDP, oder? Genau. Mit dem obigen Absatz jedenfalls leitete der FDP-Verordnete Peter Kastschajew auf der BVV-Sitzung am 19. Januar seine Rede zur Entbürokratisierung Berlins ein.
Allein – es waren nicht Kastschajews eigene Sätze – nicht einmal die eines Menschen. „Was ich Ihnen gerade vorgelesen habe, habe ich nicht selbst geschrieben, ich habe mir das auch nicht selbst ausgedacht, sondern das war eine Künstliche Intelligenz“, sagte der FDP-Verordnete.
Sie haben vielleicht schon davon gehört: Das Programm heißt ChatGPT. Es ist gerade in vielen Medien Thema, es geht darum, was die KI alles kann, aber auch, was sie in Zukunft können wird, und inwiefern sie unser Leben möglicherweise verändern wird (oder schon verändert hat). Die taz druckt seit kurzem eine regelmäßige Kolumne einer Künstlichen Intelligenz, die mit ChatGPT geschrieben wird. Ganz spannend, lesen Sie mal rein.
Aber zurück zur BVV und zu Kastschajew: „Denen habe ich einfach nur die Information gegeben: Schreibe mir einen kurzen Redebeitrag zum Thema Verwaltungsreform und notwendige Digitalisierung in Berlin aus Sicht der FDP.“ Das Ergebnis ist verblüffend – funktioniert aber nur so lange, wie einem eher allgemeine Aussagen ausreichen. Und so hat Kastschajew den Rest seiner Rede, mit der er den Antrag seiner Fraktion vortrug, das Bezirksamt abzuschaffen, dann doch selbst geschrieben – nehme ich jedenfalls an.
Richtig: Die FDP will das Bezirksamt abschaffen. Hier hatte ich schon einmal aufgeschrieben, worum es geht: Statt „Doppelzuständigkeiten“ soll es eine einheitliche Verwaltung geben, die BVV soll bestehen bleiben, der Bezirksbürgermeister Sprecher der BVV gegenüber dem Senat werden und alle Bezirksamtsmitarbeiter:innen ins Land eingegliedert und damit auch besser bezahlt werden.
Der Rest der BVV reagierte wie erwartet: zwischen amüsiert und erbost. Wobei teils nicht klar war, ob sich die Verordneten mehr darüber aufregten, dass die FDP das Bezirksamt abschaffen will, oder dass Kastschajew sich eine(n Teil seiner) Rede von einer KI hat schreiben lassen – obwohl das ja doch etwas sympathisch Selbstironisches hat.
Der SPD-Verordnete Christian Linke sprach zuerst. „Sie wollen mit dem Vorschlaghammer durch die Bezirke, das föderale System völlig zerschlagen und einen Zentralstaat aufbauen. Niemand wird mehr wissen, wer für was und wozu zuständig ist. Irgendwie sind alle, aber auch irgendwie gar keiner zuständig. Was Ihre Vorstellung einer effizienten Verwaltung schaffen wird, ist reines Chaos. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag natürlich ab.“
Der Linken-Fraktionsvorsitzende Bjoern Tielebein sagte, der Vorschlag bringe kein „Mehr, sondern ein Weniger an Demokratie“. Die BVV stärken müsse bedeuten, sie in ein richtiges Parlament zu verwandeln. „Dazu gehört auch, eine Regierung auf Bezirksebene zu wählen, dann müssten wir über ein politisches Bezirksamt sprechen.“ Bisher werden Stadtratsposten je nach Stimmenanteil der Parteien vergeben. Obwohl also CDU und AfD in Marzahn-Hellersdorf nicht Teil der sogenannten Zählgemeinschaft sind, stehen ihnen nach Proporz dennoch Stadträte zu.
Tielebein fürchtet, dass der Vorschlag der FDP die Politik mehr von den Bürger:innen entferne. Die Debatte über eine Verwaltungsreform finde er allerdings grundsätzlich richtig. Letzteres sagten die meisten Redner:innen.
„Hier haben wir etwas gehört, was ich persönlich als einen Angriff auf die Basisdemokratie werte.“ Das sagte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Nickel von Neumann zum Vorschlag der FDP. Es brauche die zweistufige Verwaltung, damit die Anliegen der Menschen in den Kiezen in der Verwaltung auch ankommen. „Ihre Vorschläge gehen zu weit.“
Nun war wieder Peter Kastschajew an der Reihe. „Ich habe ja mit einigem an Abwehrreflexen gerechnet, aber was ich hier höre, ist schon sehr viel“, sagte er und erntete ein belustigt-bedauerndes „Ooooh“, aus dem Saal. „Und auch etwas absurd!“, fügte er hinzu und wandte sich an von Neumann. „Ein Angriff auf unsere Basisdemokratie? Glauben Sie, Hamburg oder Paris wären weniger basisdemokratisch organisiert als Berlin?“ Die FDP habe sich schließlich an anderen Orten der Welt umgeschaut und sich von deren Modellen inspirieren lassen.
Kastschajew kritisierte außerdem die „Fortschrittsfeindlichkeit“ der übrigen Verordneten, die mit spitzen Bemerkungen kommentiert hatten, dass sie ihre Reden aber ohne ChatGPT geschrieben hätten oder die FDP der KI „aufgesessen“ sei. Kastschajew stellte klar: Algorithmen könnten nützlich sein, wenn man sie entsprechend einsetze und kontrolliere. Er forderte die Kolleg:innen auch auf, nicht „so zu tun“, als sei der Zustand der Verwaltung gar nicht so schlimm: „Wir stehen vor einer Wiederholungswahl, weil die Verwaltung nicht funktioniert, natürlich ist das schlimm!“
Bezirksbürgermeister Gordon Lemm (SPD) nutzte den Antrag der FDP, um ein Loblied auf die Verwaltung zu singen, wie er selbst sagte. Er wies darauf hin, dass Verwaltungen vom Grundsatz her alle Menschen gleich behandelten (kurzer Kommentar dazu: vielleicht sollte man besser sagen: behandeln sollten). Lemm warf der FDP vor, mit dem Verwaltungsbashing auch „Kollegenbashing“ zu betreiben. Dass viele Prozesse lange dauern, liege unter anderem daran, dass Transparenz und Bürgerbeteiligung gefordert sei und dass divergierende Interessen gegeneinander abzuwägen seien. Daran ändere sich auch nichts, wenn die Bezirksämter abgeschafft seien. Lemm sagte, die FDP wolle „eine einfache Lösung propagieren“ für ein komplexes Problem und schloss mit den Worten: „Bevor Ihr Chatbot das auswerten muss: Der Antrag ist Mist.“
Der Antrag wurde schließlich „mit überwältigender Mehrheit“ (die Worte der BVV-Vorsteherin) abgelehnt.