Kiezgespräch

Veröffentlicht am 11.02.2020 von Ingo Salmen

Berlin hat erstmals seine Obdachlosen gezählt – und die Zahl ist geringer als erwartet. 1976 wohnungslose Menschen haben die Helferinnen und Helfer am Abend des 29. Januar, genannt die „Nacht der Solidarität“, angetroffen. Die meisten davon in Einrichtungen der Kältehilfe (942) und auf der Straße (807). In der Vergangenheit bewegten sich Schätzungen zwischen 6000 und 10.000. Für die Differenz gibt es mehrere Erklärungsversuche: Die Arbeiterwohlfahrt sprach (schon im Vorfeld) von einer „Momentaufnahme“; einige Obdachlose mögen sich auch im Wissen um die Aktion versteckt haben, aber sicher „keine 8000“, wie Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) am Donnerstag bei der Vorstellung der ersten Ergebnisse sagte; ein Dunkelfeld ist auch die versteckte Wohnungslosigkeit, womit Menschen gemeint sind, die über keinen Wohnsitz verfügen und sich per „Couchsurfing“ bei Freunden vor der Straße retten.

In Marzahn-Hellersdorf ist die Zahl der Obdachlosen im Freien recht überschaubar. „Durch die jederzeit im Bezirk aktive mobile Einheit von ‚Respekt und Halt‘ und durch die Sozialarbeiter vor Ort waren die meisten Standorte, wo sich obdachlose Menschen aufhalten, auch vorher gut bekannt“, teilt das Bezirksamt mit. „Die Zählung hat den Schwerpunkt Marzahn Nord-West bestätigt.“ Die Senatssozialverwaltung hat (auch mit Blick auf den Datenschutz) keine exakten Zahlen für die einzelnen Kieze angegeben, sondern nur eine Spannbreite. Demnach haben die Zählteams im Marzahner Norden etwa zehn bis 25 Obdachlose angetroffen. Die Karte zur regionalen Verteilung (auch im Tagesspiegel-Artikel zu finden) weist ansonsten nur noch eins bis fünf Obdachlose in Kaulsdorf aus.

Obdachlosigkeit ist dennoch ein großes Thema im Bezirk, denn Marzahn-Hellersdorf verfügt über fünf Unterkünfte, von denen nur der geringste Teil, die eigentlichen Kältehilfe-Plätze, in das Ergebnis der Straßenzählung eingegangen ist. Zum Stichtag 29. Januar waren von den insgesamt 819 Plätzen in den Obdachloseneinrichtungen in Marzahn-Hellersdorf 762 Plätze belegt, was einer Quote von 93 Prozent entspricht. In der Kältehilfe waren in jener Nacht sechs Betten vergeben und zehn frei – dieser Winter war mild.

Auch an der Durchführung der Zählaktion hatte Marzahn-Hellersdorf großen Anteil, konkret: die Freiwilligenagentur unter Jochen Gollbach. Dessen Team hatte berlinweit die Helfer*innen rekrutiert, 2741 waren am Ende im Einsatz. In MaHe beteiligten sich 150 Menschen an der „Nacht der Solidarität“. Die Task Force um Sozialstadträtin Juliane Witt (Linke) lädt sie am Donnerstag, 19. März, um 18 Uhr zu einem Stammtisch in den Jugendclub Anna Landsberger, Prötzeler Ring 13, zu einem Stammtisch ein. Er soll ein Dankeschön sein, aber auch dem Austausch darüber dienen, wie die Unterstützung verbessert und mit den Wohnungsunternehmen frühzeitig die Gefahr von Wohnungsverlust erkannt werden können. Das nämlich war in ganz Berlin der Sinn der Zählung: eine Grundlage für bessere Hilfen zu schaffen. – Text: Ingo Salmen
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