Nachbarschaft

Veröffentlicht am 23.01.2018 von Ingo Salmen

An diesem Sonnabend ist der 73. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Der 27. Januar wird seit 2005 als Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust begangen. Was zeitlich wie räumlich weit entfernt scheint, liegt tatsächlich ganz nah – oft in unserer Nachbarschaft.

Ein Beispiel dafür ist Walter Reissner, der früher in Mahlsdorf zu Hause war. Am 8. Februar 1879 wurde er in Berlin geboren. Seine Eltern besaßen eine Tuchfabrik in Guben. Die Familie wohnte aber am Kurfürstendamm und später am Kaiserdamm. Vater und Mutter sind heute in Weißensee bestattet. Mit 36 Jahren heiratete er 1915 die zwei Jahre jüngere Antonia Hoppe aus Dresden, die er Toni nannte. Ein Schlag des Schicksals überschattete bald die Ehe. Walter Reissner (im Bild ein Selbstporträt) war ein Patriot und blieb es zeitlebens. Im Ersten Weltkrieg diente er als Soldat. Doch er wurde schwer verwundet und verlor ein Bein. Im Jahr 1922 zog das Paar in ein villenähnliches Haus in der Wiesenstraße 12E, heute Eichenhofweg 9. Walter arbeitete dort als Maler und Bildhauer. Toni starb 1934 mit nur 53 Jahren. Ende Februar 1943 holte die Gestapo Walter Reissner beim Mittagessen ab. Am 4. März brachte der 34. Osttransport ihn mit 1141 anderen Juden vom Güterbahnhof Grunewald nach Auschwitz, wo er den Tod fand. Er komme bald wieder, hatte er seiner Nachbarin gesagt, als er ihr den Wohnungsschlüssel gab. Auf der Anrichte ließ er einen halben Teller Suppe zurück.

Seit beinahe zehn Jahren erinnert im Eichenhofweg 9 ein Stolperstein an Walter Reissner. Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus ist auch der Bezirksverordnetenversammlung und dem Heimatverein ein Anliegen. Sie laden dazu an diesem Sonnabend, 27. Januar, ab 11 Uhr alle Bürgerinnen und Bürger zur Stele der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Parkfriedhof Marzahn, Wiesenburger Weg 10, ein. Ingo Salmen
Quellen: stolpersteine-berlin.de, reissner-guben.org, statistik-des-holocaust.de, Fotos: Wikipedia/OTFW/CC BY-SA 3.0, Privatbesitz

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