Nachbarschaft
Veröffentlicht am 23.07.2019 von Ingo Salmen

Ronald Paris, 85, Meisterschüler von Otto Nagel.
Otto Nagel liegt ihm bis heute am Herzen. Deshalb hat sich Ronald Paris am Montagmorgen aus Rangsdorf auf den Weg nach Biesdorf gemacht, um im Heino-Schmieden-Saal des Schlosses einer Pressekonferenz zum 125. Geburtstag seines Lehrers beizuwohnen. Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf und ein Initiativkreis von Nagel-Freunden stellen das umfangreiche Programm vor, mit dem sie den Weddinger und Biesdorfer Maler und Kulturpolitiker ab dem 27. September, Nagels Geburtstag, ehren wollen.
Paris hat sich nicht groß angekündigt. Er sitzt nicht vor den Journalisten, sondern hat mit seiner Frau Isolde neben ihnen in der ersten Reihe Platz genommen. Der 85-Jährige und Harald Metzkes, 90, sind die beiden letzten Meisterschüler Nagels, die noch leben. Als er angesprochen wird, erhebt er sich, stützt sich auf seinen Stock und zeigt auf ein Bild, das er mitgebracht hat: eine luftige Szene aus einem Café am Fuße von Notre-Dame. Es lehnt notdürftig auf einem Kleiderständer. Paris (mit der Betonung auf der ersten Silbe) malt Paris, scherzt er – ein Gemälde, das im Geiste seines Lehrers entstanden sei. „Das, was man sieht, mit Betroffenheit wahrnehmen, um Betroffenheit auszulösen“, beschreibt Paris diesen Ansatz. „Ich plädiere dafür, die direkte Betroffenheit des Gegenwärtigen in Würde zu erleben.“
Nagel malte das alte Berlin, in Stadtansichten und Porträts von Arbeitern, Kommunisten, Prostituierten aus dem Wedding, wo er sein Atelier hatte, stilistisch wie später auch Paris dem Realismus verpflichtet. Das stehe im Gegensatz zur selbstbezogenen Malerei der Gegenwart, betonte Paris. „Es geht um den lebendigen Austausch zwischen Realität und Interpretation.“ Nach dem Anliegen seines Lehrers befragt, sagt der frühere Professor: „Proletenmaler war die Bezeichnung zu DDR-Zeiten, um zu adeln, was selbstverständlich war für ihn: eine Verbindung zu halten zu den einfachen Menschen, mit denen er auch zusammenlebte.“
In der frühen DDR machte Nagel auch als Funktionär Karriere, seine herausgehobenste Position war die als Präsident der Akademie der Künste des sozialistischen Staates von 1956 bis 1962. Er habe „nie einen Vorzug daraus gezogen“, versichert Paris, der von 1963 bis 1965 Nagels Meisterschüler war. „Er war immer ganz gerade und ein offener, zugänglicher Mensch.“ Noch vor Ende der Pressekonferenz geht Paris nach draußen, zündet sich ein Zigarre an. In den 90er-Jahren war er selbst Kunstprofessor in Halle. Doch Paris nennt sich lieber „Professor für Malerei“. Das klinge „nicht so hochtrabend“. Immer wieder nebelt er sich ein, hebt den Stock. Nagels Haltung will Paris sich zum Vorbild machen: „Wir üben weiter.“
Foto: Ingo Salmen
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