Nachbarschaft
Veröffentlicht am 30.07.2019 von Ingo Salmen
Vivian Kammholz hat kürzlich einen neuen Wochenmarkt in Mahlsdorf ins Leben gerufen. Jetzt geht sie das nächste Projekt im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf an: die Gründung einer Freien Schule. Die 35-jährige Kauffrau wohnt mit ihrem Partner und den beiden Söhnen im Alter von dreieinhalb Jahren und fünf Monaten in Mahlsdorf. Die Idee zur Schulgründung heckte sie mit Stefanie Nosek (im Bild rechts) aus, erste Tipps holten sie sich bei einem, an dem man nicht zuerst denken würde, wenn es um alternative Schulformen geht: dem örtlichen CDU-Abgeordneten Mario Czaja. Das CDU-Bürgerbüro in der Hönower Straße 67 ist denn auch Ort der ersten Informationsveranstaltung der (parteilich ungebundenen) Gründungsinitiative am Sonnabend, 7. September, von 15 bis 17.30 Uhr. Wer daran teilnehmen möchte, sollte sich vorher per Mail anmelden.
Frau Kammholz, Sie wollen eine Freie Schule gründen – warum? Weil es sie in Mahlsdorf nicht gibt. Es ist kein Geheimnis, dass Kita- und Schulplätze rar sind. Ich habe meinen Sohn deshalb schon mit zwei Jahren vorsorglich an der Best-Sabel-Grundschule angemeldet. Dann habe ich irgendwann von Elterninitiativen gelesen, die Schulen betreiben, woraufhin ich zu Stefanie Nosek gegangen bin, die ich durch unsere gemeinsame Tagesmutter kannte, und sie gefragt habe, ob wir nicht unsere eigene Schule gründen sollen. Uns sagt das Konzept einfach zu.
Worin besteht das? Wir planen eine Freie Demokratische Schule ohne Zensuren und ohne Frontalunterricht. Es wird keine klassischen Lehrer geben, sondern Lernbegleiter. Die Kinder können auch mitentscheiden, haben das gleiche Stimmrecht wie Lehrer und Eltern. An staatlichen Schulen läuft alles genau nach Lehrplan, Jahr für Jahr. Einige Kinder interessieren sich aber eher für Mathe und später für Deutsch, andere umgekehrt. Bei uns soll jeder nach seinem eigenen Tempo lernen. In herkömmlichen Schulen ist das nicht immer möglich – dort fehlen auch oft Lehrer, Unterricht fällt aus.
Woher wollen Sie Ihre Lehrkräfte nehmen? Es gibt durchaus Leute, die Lehramt studieren, aber das staatliche Konzept nicht so toll finden. Das sind die Leute, die wir suchen. Am Ende müssen das aber ausgebildete Grundschullehrer sein, sonst würde das die Schulverwaltung gar nicht genehmigen.
Wie wollen Sie starten? Wir starten als Grundschule, vermutlich mit einer Klasse von 10 bis 15 Kindern, aber wir wollen das bis zur 10. Klasse ausbauen. Für den Anfang brauchen wir zwei Lehrerstellen, nur wahrscheinlich nicht beide in Vollzeit. Wir müssen das auch selber tragen, der Staat würde sich erst nach drei bis fünf Jahren beteiligen. Es werden also Elterngelder vereinnahmt werden müssen. Die genaue Höhe können wir noch nicht nennen, aber in der Regel sind das 300 bis 400 Euro im Monat, wobei es eine Regelung geben wird, dass Familien mit weniger Geld nicht ausgeschlossen werden. Ein ganz großes Thema ist natürlich das Grundstück, wo doch in Mahlsdorf die Preise explodieren und Flächen schwer zu finden sind. Da suchen wir etwas zur Pacht. Wir wollen eine Containerschule errichten, die dann nach und nach wachsen kann. Container kann man mieten.
Was sind die nächsten Schritte? Mit unser Infoveranstaltung geht es los. Wir brauchen mindestens sieben Eltern für die Gründungsinitiative, um einen gemeinnützigen Verein gründen zu können. In monatlichen Treffen wollen wir dann das Konzept genau ausarbeiten. Genauso wichtig sind Eltern, die ihre Kinder auf die Schule schicken möchten, auch wenn sie sich nicht aktiv an der Gründung beteiligen – damit wir eine Liste an Anmeldungen vorweisen können. Wenn es geht, wollen wir in zwei Jahren die Schule eröffnen – zum Schuljahr 2021/22.
Das ist sehr ambitioniert. Holen Sie sich dafür auch externen Rat? Ja, natürlich. Einmal vom Bundesverband Freier Alternativschulen, BFAS, dem auch viele Freie Schulen in Berlin angehören. Dann über die Organisation Schools of Trust, die mehr in Süddeutschland aktiv ist. Wir besuchen auch andere Schulen und lernen deren Arbeit kennen. Zu unserer Infoveranstaltung kommt zum Beispiel Alexander Müller, der Lernbegleiter an der Demokratischen Schule X in Reinickendorf ist.
Ein so großes Projekt wie eine Schulgründung ist auch ein Wagnis. Wie versichern Sie Eltern, die Ihnen ihre Kinder anvertrauen sollen, dass es nicht schiefgeht? Wir erfinden ja das Rad nicht neu. Es gibt viele Erfahrungen mit Freien Schulen, auch in Berlin, die teilweise schon mehr als zehn Jahre bestehen – also bereits Schüler zu Abschlüssen an staatlichen Schulen geführt haben. Die haben so lange Wartelisten, dass sie weitere Schulen aufmachen könnten, nur gibt es sie nicht in unserer Nähe. Die größten Herausforderungen sind, ein Grundstück zu finden und die Genehmigung der Schulverwaltung zu erhalten. Aber wenn wir starten, geht da auch nichts mehr schief. – Interview: Ingo Salmen
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Diesen Text haben wir als Leseprobe dem neuen Tagesspiegel-Newsletter für den Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf entnommen. Den – kompletten – Newsletter, den wir Ihnen einmal pro Woche schicken, können Sie ganz unkompliziert und kostenlos bestellen unter leute.tagesspiegel.de.
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