Nachbarschaft

Veröffentlicht am 03.09.2019 von Ingo Salmen

Horst Löser, 70, Rentner, Marzahner, Unikum. Außerdem Gründer und langjähriger Vorsitzender der Marzahner Füchse, Vorstandsmitglied im Bezirkssportbund und Motor der Städtepartnerschaft mit Lauingen an der Donau, einer kleinen Gemeinde im schwäbischen Westen Bayerns. Wir reden mit ihm über drei Wendegeschichten, die alle auch Ost-West-Geschichten sind: wie eine Bieridee zum Fall für die Politik wurde, wie Günther Jauch bei einem Streit mit den Reinickendorfer Füchsen half und warum der Mauerfall den Lösers die Party verdarb.

Herr Löser, wie haben Sie den 9. November 1989 erlebt? Donnerstags hatten wir wie immer unser Fußballtraining in der Sporthalle, da kam ich um 21.30 Uhr nach Hause, schaute die Nachrichten, noch verschwitzt, und dachte: Was ist das denn für ein Science-Fiction-Film? Trotzdem hatte ich keinen Drang, da gleich hinzufahren. Ich hatte eine Tante in West-Berlin, die wir schon ein paar Mal besucht hatten, ich wusste also, wie es da aussieht. Für Ende November wollten wir wieder einen Besuch zum Geburtstag beantragen, Aber da war die Mauer schon gefallen. Meine Frau hat auch am 9. November Geburtstag, sie wurde 40, und wollte am Freitagabend feiern – weil dann am nächsten Tag niemand zur Arbeit musste. Da kamen dann statt 40 Leuten nur noch ein Dutzend. Der Rest war im Westen.

Die Wurzeln der Städtepartnerschaft zwischen Marzahn-Hellersdorf und Lauingen liegen schon vor der Wende. Was ist da vorgefallen? Die Geschichte, die man sich erzählt, ich selbst war nicht dabei, geht so: Zwei Fußballer trafen sich in einer Köpenicker Kneipe, einer aus Marzahn, einer aus Lauingen. Die haben ordentlich Bier getrunken und nach dem zehnten Bier vereinbart: Wenn die Mauer fällt, spielen wir gegeneinander Fußball. Das war im Juli 1989. Da konnte ja niemand ahnen, was im November kommt. Und plötzlich ist im Dezember 1989 erstmals eine Marzahner Fußballmannschaft nach Lauingen gefahren, eine gemischte Truppe, erst später lief das dann über die Marzahner Füchse.

Wie ist das Spiel ausgegangen? Ich weiß nicht, wer die meisten Biere getrunken hat … Die Marzahner haben sich ja in Lauingen gleich noch mal hundert Mark Begrüßungsgeld abgeholt. Über die Jahre haben wir uns dann kennengelernt, abwechselnd Fußballturniere durchgeführt. Und dann saßen wir mal wieder bei einem Bier zusammen und haben uns gefragt, ob wir nicht noch ein bisschen mehr machen können. So entstand 1995 die Idee für die Städtepartnerschaft.

Die aber doch erst 1999 besiegelt wurde … Wir mussten das erst langsam anbahnen. Zuerst gab es im Sommer 1996 „Marzahner Tage“ in der Stadthalle von Lauingen. 140 Marzahner sind da hingefahren, aus der Wirtschaft, Vereinen, Kultur. Es gab aber auch einige Probleme, die meisten mit den Kirchen – die evangelische in Marzahn, die katholische in Lauingen. Ich hätte nicht gedacht, dass die nicht miteinander reden können, aber die Katholiken haben ganz schön gebockt. Das zweite Problem waren unsere lieben Politiker – die Roten in Marzahn und die Schwarzen in Lauingen, eine Ausnahme bildeten nur die beiden Bürgermeister. Dabei waren in unserer Delegation nur zwei PDS-Leute … 1999 haben wir schließlich die offzielle Partnerschaft unterzeichnet. Da hatte sich das mit der Kirche dann auch gelegt.

Solche Partnerschaften sind ja oft von einer Anfangseuphorie begleitet und schlafen dann irgendwann ein. Wie ist es heute um die Verbindung bestellt? Also allein in diesem Jahr: Im April waren die Marzahner Füchse zum Eisstockschießen in Lauingen, das machen sie fast jedes Jahr. Im Juni waren rund 20 Radler aus Lauingen für Touren in Berlin und Brandenburg, schon zum siebten Mal, und haben natürlich wie die Stadtkapelle Lauingen an unserem Geburtstagsfest in den Gärten der Welt teilgenommen. Am 28. September ist die Stadtmeisterschaft im Volleyball in Lauingen; da fährt der Hellersdorfer Volleyballclub hin. Die haben schon viermal gewonnen, ich hab‘ denen gesagt, die sollen auch mal den Zweiten machen. Es laufen ständig so Sachen, da kannste nicht meckern.

Planen Sie auch etwas zum 20-jährigen Bestehen der Partnerschaft? Vom 3. bis 6. Oktober fahren wir mit zwei Bussen nach Lauingen. Da sind der Marzahner Kammerchor, die Marzahner Promenadenmischung und das Konfetti-Tanzstudio dabei. Sie treten bei den Dillinger Kulturtagen auf, das ist der Landkreis. Auch eine Podiumsdiskussion ist geplant, das Motto lautet „40/30/20“, was für unser Bezirksjubiläum, den Mauerfall und die Städtepartnerschaft steht. An dem Sonnabend verlängern wir dann auch im Rathaus Lauingen die Partnerschaft – mit den Erstunterzeichnern, also den früheren Bürgermeistern von Marzahn und Lauingen, Harald Buttler und Georg Barfuß, unserer Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. Das mit den roten Socken hat sich jetzt also wirklich erledigt.

Eine andere Wendegeschichte, die Sie zu erzählen haben, betrifft einen Streit um den Namen der Marzahner Füchse. Wie kam es dazu? Ich bin 1980 hierher gezogen, 1981 haben wir angefangen, einfach in der Turnhalle Fußball zu spielen. Da kamen dann die Herren vom Sportverband und haben gesagt: So geht das nicht, ihr müsst einen Verein gründen. Also haben wir uns 1982 Marzahner Füchse genannt. Bei der Gründung waren wir gleich 123 Mitglieder. Wir wohnten alle an der Franz-Stenzer-Straße, von dort konnten wir damals noch bis Brandenburg gucken, und da standen immer die Füchse. Das ginge nicht mit dem Namen, hieß es dann – vermutlich wegen der Reinickendorfer Füchse im Westen, aber offiziell hat das natürlich niemand so gesagt. Weshalb wir dann die SG Franz Stenzer wurden.

Aber heute sind Sie doch wieder die Marzahner Füchse. Nach der Wende mussten sich alle Vereine im Osten nach bundesdeutschem Recht neu gründen. Das hat uns der damalige Vorsitzende des Landessportbunds, Manfred von Richthofen, bei einer Versammlung im alten Stasi-Gebäude erklärt. Anderthalb Jahre hat es gedauert, bis alles mit dem Amtsgericht Charlottenburg geregelt war – die mussten auf einmal zig Vereine registrieren. Nach einer Weile bekamen wir dann einen Brief von den Reinickendorfer Füchse: Wir sollten unseren Namen ablegen wegen Verwechslung im Geschäftsverkehr. Zu Ostzeiten hast du den Namen aus politischen Gründen nicht gekriegt und im Westen sollten es geschäftliche sein!

Wie haben Sie den Streit gelöst? Da waren auch die Experten beim LSB ein bisschen ratlos. Es sollten ja die Vereine im Westen Patenschaften für die neuen im Osten übernehmen, das passte natürlich nicht zusammen. Nun war es so, dass wir damals Kreisliga C gespielt und immer 15:0 oder so verloren haben. Das lief richtig gut, wir waren die schlechteste Mannschaft Deutschlands. Alle haben darüber berichtet, bis zur „Frankfurter Allgemeinen“. Und das hat auch der Günther Jauch gelesen. Der fand das gut und hat uns mit einem Team von „Stern TV“ besucht. Ganz zum Schluss hat er gefragt, ob wir sonst noch Probleme haben. Da habe ich von dem Brief erzählt, was er auch eins zu eins gesendet hat. Anschließend haben wir von den Reinickendorfer Füchsen nie wieder was gehört.

Foto: Ingo Salmen

Haben auch Sie besondere Wendegeschichten erlebt? Oder kennen Sie jemanden, der etwas zu erzählen hat? Wie erinnern Sie sich an den 9. November 1989? Melden Sie sich bei uns unter: leute-i.salmen@tagesspiegel.de