Nachbarschaft

Veröffentlicht am 31.03.2020 von Caspar Schwietering

Der Tag, auf den alles hinausläuft, ist jetzt der Donnerstag nach Ostern. An dem Tag kommt das C-Team wieder zusammen und entscheidet, wie es weitergeht. „Das C steht natürlich für Corona“, sagt Anke Peters. Und das C-Team ist ihr Krisenstab, der die Kolibri-Grundschule durch diese Pandemie führen soll.

Die 52-Jährige Grundschulrektorin steht vor einer Riesenherausforderung. Wie organisiert man eine Schule ohne Schüler? Und wie achtet man aus der Ferne darauf, dass es allen gut geht.

Es ist nicht so, dass Peters Herausforderungen scheut. Sie hat lange eine Problemschule in Neukölln geführt – im Donaukiez nahe der Sonnenallee. Bis sie das Gefühl hatte, dass eigentlich alles ganz gut läuft. Da ist sie weiter gezogen zur Kolibrischule. Auch das keine Schule in einer ganz einfachen Nachbarschaft – mitten in einer Hellersdorfer Großsiedlung. Für Peters war es auch eine Heimkehr. Sie lebt in Biesdorf – da ist Hellersdorf verglichen zu Neukölln nicht weit weg. Und sie hat als junge Lehrerin schon einmal in diesem Gebäude unterrichtet, als es noch die Erwin-Strittmatter-Schule beherbergte.

Die Kolibrischule – das ist heute ein kleines Monster, entstanden durch Schulplatzmangel im Bezirk. Eine Schule mit drei Filialen und über hundert Lehrkräften. Doch nun erstmal dieses Virus – diese Extremsituation.

Peters ist das Ganze Schritt für Schritt angegangen. „Als erstes brauchten wir eine Cloud“, sagt sie. „Doch wir brauchten eine Cloud, die zu einer Grundschule passt“, sagte sie der IT. Die Cloud heißt nun Wölkchen und ist einfach gestaltet. Genauer gesagt, sind es zwei: das Kolibri-Wölkchen und das Schäfchen-Wölkchen. Im ersten Wölkchen posten die LehrerInnen die Aufgaben und im zweiten Wölkchen stellen die Kinder ihre Ergebnisse hoch.

Doch Peters wollte auch wissen, wie es den SchülerInnen geht. Bei den Kindern in der Notbetreuung ist das einfach, da schaut Peters regelmäßig vorbei und erlebt einen neuen Stolz. Die Eltern sind als PflegerInnen und VerkäuferInnen nun systemrelevant. Die Wertschätzung tut den Familien gut.

Die anderen Kinder bat Peters, ihr zu schreiben. In Briefen sollten sie aus ihrem neuen Alltag erzählen, einfach berichten, wie es ihnen geht. Und tatsächlich es funktioniert, seit einigen Tagen fischt der Hausmeister jeden Tag dutzende Briefe aus dem Briefkasten. Peters hat sie in einer Ausstellung vor der Schule aufgehängt, damit die Kinder beim Spazierengehen lesen können, was ihre MitschülerInnen in dieser Situation jetzt machen und fühlen.

Immer wieder sieht Peters nun Kinder, die vor der Schauwand stehenbleiben und sich das angucken. Ihre ErzieherInnen suchten den Kontakt dagegen über YouTube und Facebook und animierten die Kinder, dort aktiv zu bleiben und Sport zu machen. Wichtig sei aber auch, dass die SozialarbeiterInnen im engen Kontakt mit Familien bleiben, die schon vor dieser Krise Probleme hatten.

Momentan klappt alles eigentlich ganz gut, findet Peters. Und doch fürchtet sie sich vor dem Donnerstag nach Ostern. Wenn Sie dann mit dem C-Team nicht planen können, wie sie die Schule wieder aufmachen, sondern sich neue Konzepte für den Unterricht aus der Ferne überlegen müssen, werde es schwierig, sagt Peters. Dann wären die Kinder genauso lange wie in den Sommerferien aus der Schule raus. Nur ohne Urlaub und ohne Ferienfreizeit. Das will sie sich lieber gar nicht vorstellen. „Aber zur Not werden wir auch diese Situation meistern“.

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-i.salmen@tagesspiegel.de