Nachbarschaft

Veröffentlicht am 27.07.2021 von Pauline Faust

In Arbeitskleidung sitzen die Handwerker an kleinen Metalltischen und essen zu Mittag: Es gibt Spaghetti Bolognese, an einem Tisch schon das erste Bier. Aus einer Wohnung über dem Imbiss schallt russischer Schlager. „Das ist der russische Roy Black“, erklärt einer der Männer stolz einem Sitznachbar und allen, die ihn hören können. So stellt man sich jeden Wochentag auf dem Boulevard Kastanienallee in Hellersdorf vor. Eine Frau allerdings sticht hervor mit ihrem alten, aber hippen Fahrrad und blau getönten Brillengläsern. Carola Rümper ist Künstlerin und hat genau hier vor dem Imbiss im Pavillon „Zur Spinne“ die Ausstellung „RE: Sammelobjekt Skatblatt“ organisiert. Für diese Ausstellung gäbe es auch keinen besseren Ort.

Carola Rümper versteht sich als Konzeptkünstlerin. Seit vielen Jahren organisiert sie Mit-Mach-Aktionen und Ausstellungen im öffentlichen Raum, mittlerweile hat sie einen Projektraum in Hellersdorf. „Das Großartige ist der direkte Kontakt hier“, sagt Rümper. In den Bezirken der Innenstadt seien viele kunstaffine Menschen unterwegs und brächten einen Sprachjargon mit sich, das voller Floskeln ist. „Hier im Randbezirk setzten sich die Menschen mit dem Gesehenen auseinander.“ Ob ihre Kunst gefällt, erfährt Rümper dann sehr schnell. „Ich bekomme eine ganze Bandbreite von Reaktionen von ‚Das ist ja interessant, daran hatte ich noch nicht gedacht‘ bis ‚Was für ein Unfug ist das hier‘.“ Und das sei sehr erfrischend.

Die Ausstellung ist Teil des KunstprojektsBoulevard ist Trumpf – ein Skatblatt für das Quartier“. Über den Skat kommt man miteinander ins Gespräch, findet Rümper, das hat sie für das Projekt begeistert. Skat ist für sie mehr als ein Spiel. „Das hat mit dem Begriff Heimat und Identität zu tun, es ist ein sehr klassisches altes deutsches Spiel.“ Für die Ausstellung RE: Sammelobjekt Skatblatt hat die Künstlerin von Hellersdorfer:innen ein Stück dieser Heimat ausgeliehen bekommen. Im August werden von außen sichtbar die geliehenen Skatblätter im Pavillon  gezeigt. Da gibt es dann etwa ein Skatblatt auf dem Bube, Dame und König alte Bauerntrachten tragen. Das hat eine Dame aus Altenburg, der Stadt, die Skat erfand, als Andenken mitgebracht. Ein anderes Skatblatt ist eine Kindheitserinnerung: Auf der Rückseite sind kleine Vögel, welche die Besitzerin immer wieder verzauberten. So werden neben den Blättern auch ihre Geschichten ausgestellt.

Als Kind in Norddeutschland hat Rümper viel Skat gespielt. Die junge Generation heute für das Kartenspiel zu begeistern, ist allerdings schwieriger. Das hat ihr auch der Marzahner Skatverein bestätigt, der habe immer wieder Probleme, neue Mitspieler:innen zu finden. Rümper erklärt das so: „Skat hat ein ausgeklügeltes Regelwerk, gerade jüngere Leute wollen ein Spiel, das eingängiger ist.“ Mit dem Projekt hofft die Künstlerin, neue Menschen für das alte Skat begeistern zu können. Auf dem Boulevard Kastanienallee stehen ihre Chancen dafür nicht schlecht – genug Publikum gibt es und wenn nicht gerade Roy Black läuft, schaut es sich auch in der Umgebung um. Zu große Sorgen muss man sich um das Kulturgut Skat auch noch nicht machen: Etwa 20 Millionen Spieler:innen gibt es in Deutschland. 2016 hat die UNESCO Skat sogar ins Weltkulturerbe aufgenommen und in die Liste der immateriellen Weltkulturgüter eingetragen.

Sie möchten in Hellersdorf ein Skatblatt beisteuern? Rümper nimmt noch Leihgaben an. Jeden Donnerstag und Sonntag von 15 bis 18 Uhr ist der Pavillon Zur Spinne geöffnet, dann wird auch Skat gespielt.

„RE: Sammelobjekt Skatblatt“ ist vom 8. bis 22. August im Pavillon „Zur Spinne“ auf dem Boulevard Kastanienallee (Stollberger Straße 67, 12627 Berlin) zu sehen. Die Ausstellung kann außerhalb der Öffnungszeiten besichtigt werden. Mehr zu Carola Rümper gibt es auf carola-ruemper.eu.

  • Foto: Pauline Faust
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