Nachbarschaft

Veröffentlicht am 21.11.2023 von Dominik Lenze

Offene Kinder- und Jugendarbeit, die meist in Jugendzentren stattfindet, besteht – zumindest für die Jugendlichen – zu einem großen Teil aus Abhängen: mit Freundinnen und Freunden am Billardtisch oder einen Raum weiter beim Breakdance. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter haben hier die Gelegenheit, anders mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, als dies beispielsweise für Lehrer möglich wäre. Für Jugendliche kann ein Jugendzentrum ein dritter Hafen neben Schule und Elternhaus sein; Probleme, die ansonsten hinter verschlossenen Türen geblieben wären, können von den Beschäftigten bemerkt, Hilfe kann angeboten werden. 

Doch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter schlagen nun Alarm: Alexander Paulsen, DRK, Teamleitung offene Jugendarbeit, und Anika Schmidt von der Jugendfreizeiteinrichtung Fair haben am Donnerstag (16. November) einen Brandbrief in der BVV, dem Bezirksparlament, verlesen, weil “die Situation wirklich dramatisch geworden ist”, so Paulsen. Eingeladen wurden sie vom Jugendhilfeausschuss. 

“Kinder- und Jugendliche empfinden verstärkt Zukunftsängste und Perspektivlosigkeit”, sagte Schmidt in der Bezirksverordnetenversammlung. Psychische Auffälligkeiten und Erkrankungen würden zunehmen, immer häufiger würden Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter Anzeichen von Verwahrlosung bemerken, Drogenkonsum und “Kriminalitätsbereitschaft” seien häufige Probleme. “Und immer mehr Kinder und Jugendliche berichten über zerrüttete Familienverhältnisse und prekäre Lebensbedingungen”, schilderte Schmidt die Situation. 

Die beiden forderten im Bezirksparlament, mehr Personal für die Offene Kinder- und Jugendarbeit bereitzustellen und die Abrechnung für die schon jetzt in dem Bereich Beschäftigten zu ändern. Der Unterstützungsbedarf steige und schon jetzt müssten Stunden, die nicht durch Fachkräfte abgedeckt werden können, durch beispielsweise studentische Honorarkräfte ausgeglichen werden. “Wir können qualitativ nicht so arbeiten, wie wir das wollen”, sagte Alexander Paulsen dem Tagesspiegel. 

Paulsen arbeitet im Jugendzentrum M3+ in Marzahn-Mitte. Es ist ein typischer Jugendclub, mit einem offenen Bereich, einem Bar-Raum, um den sich eine Tresen-Crew aus Jugendlichen kümmert, und verschiedenen Angeboten von Theater bis Breakdance. “Teilweise müssen wir hier aber auch Notversorgung machen”, sagt Paulsen. Fast wöchentlich gebe es Anlässe zu prüfen, ob ein Kinderschutzfall vorliegt, also das Jugendamt verständigt werden muss. Es habe Fälle gegeben, in denen Kinder nicht nach Hause zu ihren Eltern gewollt haben, berichtet er. 

“Was wir hier machen, ist ja mehr, als nur einen Ort zum Billardspielen zu bieten”, sagt Paulsen. Und selbst beim Billardspielen gehe es letztlich um ein “professionelles Beziehungsangebot”: “Hier können Jugendliche wen finden, denen sie sich anvertrauen können, wenn im Leben mal etwas schiefläuft”, sagt Paulsen. Und zwar als Ort neben Elternhaus und Schule, die ja nicht selten problembeladen sein können. 

“Es geht auch darum, dass Kinder und Jugendliche hier ihre Selbstwirksamkeit entdecken können”, so Paulsen. Das beginne mit der Selbstorganisation an der Bar und gehe weiter, wenn Sozialarbeiter die Jugendlichen zur Teilnahme an Bürgerhaushaltsprojekten motivieren können. “So kann man jungen Menschen vermitteln: Aha, ich kann auch was gestalten”, sagt der Sozialarbeiter.

  • Foto: M3+