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von Julia Weiss

Veröffentlicht am 06.05.2020

Die Bezirkspolitik ist zurück – am vergangenen Donnerstag tagte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte zum ersten Mal seit Beginn der Coronakrise. Die Fraktionen waren nur zur Hälfte anwesend, Besucher waren nicht erlaubt. Alle Anwesenden trugen Schutzvisiere aus Plastik vor dem Gesicht, um die Ansteckungsgefahr gering zu halten. „Die Stunde der Exekutive ist vorbei – jetzt ist es an der Zeit, dass der repräsentativen Demokratie wieder Geltung verschafft wird“, begrüßte Bezirksstadtrat Ephraim Gothe (SPD) die Verordneten.

Ähnlich ordentlich wie die Sitzordnung – mit großen Abständen zwischen den Tischen – war die Tagesordnung organisiert. Keine Streits und Diskussionen, Kritik am politischen Gegner wurde nur bei Twitter geäußert. Abgestimmt wurde über drei Konsenslisten. Im BVV-Saal sollte alles reibungslos und vor allem schneller als sonst vonstatten gehen – coronakonform eben.

Nach einem allgemeinen Update zum aktuellen Stand der Pandemie im Bezirk hatten alle Fraktionen die Möglichkeit, ein Statement zur Coronakrise abzugeben. Dabei wurde deutlich: Gerade was die Lockerungen angeht, haben die Parteien unterschiedliche Meinungen. Ein Überblick:

Die Grünen wollen auf Nummer sicher gehen. „Bremsen ist derzeit wichtiger als Tempo machen“, sagt Fraktionssprecher Tilo Siewer. „Gerade wegen der frequentierten Lage können wir in Mitte keine Vorreiterrolle bei Lockerungen spielen.“ Die Grünen fordern strenge Kontrollen in Parks. Als negatives Beispiel nennt Siewer den Weinbergspark, wo vermehrt Corona-Regeln von Besuchern missachtet wurden.

Die SPD will die Krise „von den Schwächsten her denken“ und fordert mehr Betreuungsangebote für Kinder und Unterstützung von Familien. „Die Kinderperspektive scheint in der aktuellen Debatte keine Rolle zu spielen“, heißt es in einem Antrag des Fraktionsvorsitzenden Sascha Schug. „Dabei ist es in der Bildungsforschung unstrittig, dass frühkindliche Bildung für den weiteren Bildungserfolg von Kindern entscheidend ist.“

Die Linken wollen Sozial- und Arbeitsamt aufstocken, weil die Zahl der Hilfsbedürftigen in der Krise weiterhin steigen dürfte. Kinder sollen mit eigenen Computern ausgestattet werden. Der Fraktionsvorsitzende Thilo Urchs warnt davor, die Kosten der Krise auf die Bezirke abzuwälzen. „Die Lasten müssen solidarisch getragen werden“, sagt er und fügt an, dass er persönlich eine Vermögenssteuer für sinnvoll halten würde – was aber keine Bezirksangelegenheit ist.

Die CDU hält das Leben nicht für das einzige schützenswerte Gut und zitiert damit Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Auch der Erhalt der Arbeitsplätze sei wichtig. Der Fraktionsvorsitzende Sebastian Pieper sieht die Akzeptanz der Bürger als Voraussetzung für Corona-Einschränkungen. „Wichtig ist, dass wir gegenüber den Leuten klare Aussagen machen“, sagt er. „Wenn wir so tun, als wäre nach den Osterferien wieder alles normal, ist das nicht realistisch.“

Die AfD spricht von einem „gesellschaftlichen Umbruch“. „Was wird aus unseren Lieblingsorten, wie Bäckereien und Clubs, wenn viele die Krise nicht überstehen“, sagt der Verordnete Clemens Torno. Daneben mache ihm vor allem die Situation der Kinder und häusliche Gewalt Sorgen. Außerdem bezweifelt die AfD, dass die Hygienmaßnahmen in Schulen überall eingehalten werden können.

Die FDP will Grund- und Freiheitsrechte nur einschränken, solange es unbedingt nötig sei. „Wir brauchen Möglichkeiten, dass Leben wieder ganz normal hochzufahren – unter Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes“, sagt der Verordnete Bastian Roet. Vor allem Schule und Kinderbetreuung müsse bald wieder gewährleistet sein.

Die Piraten wünschen sich mehr Einsicht in Daten zur Krise. „Ist das Gesundheitsamt für die Zukunft gewappnet? Wo gibt es Hotspots im Bezirk? Wie steht es um Gastronomie und Kultur? Diese Informationswirtschaft finden wir intransparent“, sagt der Verordnete Alexander Freitag.

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