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von Julia Weiss

Veröffentlicht am 10.03.2021

So nutzen Freier die Not der Frauen auf der Kurfürstenstraße aus

Die Corona-Pandemie trifft vor allem die hart, die es ohnehin schon schwer haben. Wie die Frauen auf dem Straßenstrich. Auf der Kurfürstenstraße geht das Geschäft auch in der Pandemie weiter. Trotz Verbot. „Die Männer nutzen die Not der Frauen doppelt aus“, sagt Gerhard Schönborn vom Verein Neustart e.V. Weil wegen Corona weniger Freier kommen, sinkt der Preis. „Sex auf der Kurfürstenstraße kostet 20 bis 40 Euro, vielleicht mal 50“, sagt Schönborn.

Im ersten Lockdown vergangenes Jahr drohten den Frauen hohe Strafen. Schönborn hatte sich gemeinsam mit anderen Initiativen dafür eingesetzt, dass nur noch die Inanspruchnahme von Prostitution bestraft wird. „Die Frauen haben meistens keine andere Wahl“, sagt er. Seitdem müssen in Berlin nur noch Freier und Bordelle Strafe zahlen. Auf der Kurfürstenstraße kontrolliere das aber kaum jemand.

„Nach einem Jahr Corona ist die Not größer geworden“, sagt Schönborn. Er arbeitet im Kontaktcafé von Neustart e.V. Vor Corona haben sich die Frauen hier ausgeruht, gewaschen, einen Kaffee getrunken. Mittlerweile werden dort auch Lebensmittelkarten für Supermärkte und Kleidung verteilt. „Die Frauen können sich nicht einmal mehr das Nötigste kaufen“, sagt Schönborn.

Die Ansteckungsgefahr ist hoch. „Theoretisch gelten Abstandsregeln, aber das kann nicht funktionieren“, sagt der Streetworker. Die Klokabinen, in denen meistens verrichtet werde, hätten gerade mal Außenmaße von 140 mal 120 Zentimeter. Seit der wirtschaftliche Druck durch Corona größer geworden ist, würden Sexarbeiter:innen auch öfter zu Praktiken gezwungen, habe Schönborn im Gespräch mit ihnen erfahren.

Über die Kurfürstenstraße werden immer wieder Verbotsdiskussionen geführt. Berlin-Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) hatte sich in der Vergangenheit dafür ausgesprochen. Auch für Anwohner:innen ist das Elend vor der eigenen Haustür oft schwer zu ertragen. Den Frauen wäre damit aber nicht geholfen. Auf der Kurfürstenstraße gibt es zumindest Hilfsangebote. In ganz Berlin leben schätzungsweise 6.000 bis 10.000 Sexarbeiter:innen, sagt Schönborn. Meistens findet die Prostitution im Verborgenen statt.

„Es gibt in Berlin bisher nicht genügend Hilfe für den Ausstieg“, sagt Schönborn. Das sei gerade jetzt in der Pandemie deutlich geworden. Wegen Corona seien seit März 2020 vermehrt Frauen auf ihn zugekommen, die nicht mehr auf den Straßenstrich gehen wollten. Oft hätten sie aber keinen Anspruch auf Sozialhilfe, weil sie noch nicht lange genug in Deutschland seien. Andere Jobs seien während der Pandemie schwerer zu bekommen. So sehen die Frauen keinen Ausweg und gehen weiter auf die Straße.

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