Namen & Neues
Notunterkunft Marie hilft obdachlosen Frauen zurück in den Alltag
Veröffentlicht am 18.09.2019 von Julia Weiss
Berliner Notunterkunft „Marie“ hilft obdachlosen Frauen zurück in den Alltag. Ihre Kleidung hat Sofie* ordentlich auf dem Bett zusammengefaltet – Jeans, Jacke, Pullover. Dazu ein paar Hausschuhe, zwei Bücher, ein Duschgel. Ihre restlichen Habseligkeiten hat sie in einem Rucksack dabei. Tagsüber lebt sie auf der Straße. Nachts teilt sie sich ein Zimmer mit vier Frauen in der Notunterkunft Marie in der Tieckstraße in Mitte.
Seit August gibt es dort zehn neue Schlafplätze für obdachlose Frauen – in einem Haus der Koepjohann’sche Stiftung. Die seien auch dringend notwendig, sagt die stellvertretende Einrichtungsleiterin Elisa Lindemann. Die Nachfrage sei so groß, dass sie jeden Abend zwei bis drei Frauen abweisen muss.
Die Frauen kommen häufig aus zerütteten Familien, haben Gewalt erlebt. Viele sind psychisch krank und schaffen es deshalb nicht mehr zum Arbeitsamt oder in reguläre Wohnprogramme. Dabei will ihnen die Notunterkunft Marie helfen. 14 Tage dürfen Frauen hier bleiben. Ihnen steht eine Psychologin zur Seite und sie bekommen Unterstützung im Alltag. „Oft fehlt allerdings die Einsicht der Betroffenen, dass sie psychologische Hilfe brauchen“, sagt Lindemann. „Dann wird es schwierig und die Frauen stehen bald wieder vor unserer Tür.“
Das ehemalige Pfarrhaus in der Tieckstraße wird dann kurz zu ihrem Zuhause. Abends kochen die Frauen gemeinsam und räumen auf. „Es ist toll, wie sie sich gegenseitig unterstützen“, sagt die Einrichtungsleiterin. „Wer schon lange auf der Straße lebt, nimmt die Neulinge an die Hand. Konflikte gibt es kaum.“
Kritik gab es bei der Eröffnungsfeier am Dienstag an den Behörden in Mitte. Mit denen hatten Stiftung und Diakonisches Werk immer wieder Probleme. Zum einen wegen strengen Vorgaben des Denkmalschutzes. „Das hat uns sehr viel Zeit und Geld gekostet“, sagt die Geschäftsführerin der Koepjohann’schen Stiftung, Heidrun Lüdtke. Zum anderen gibt es immer noch Probleme mit dem Zweckentfremdungsverbot. Das betrifft zwar nicht die Notunterkunft im Tiefparterre, aber Wohnungen für wohnungslose Frauen in den oberen Stockwerken. Wie meine Kollegin Laura Hofmann berichtete, verstoßen die gegen das Zweckentfremdungsverbot-Gesetz (ZwVbG) des Berliner Senats, nach dem „auch die Unterbringung von Obdachlosen oder geflüchteten Menschen zu Tagessätzen den Tatbestand der Zweckentfremdung erfüllt“ (§2, Abs. 1 ZwVbG) und Strafzahlungen bewirkt.
„Das ist doch absurd“, sagt Lüdtke. „Es wird kein Unterschied gemacht zwischen gemeinnützigen Organisationen und profitgierigen Unternehmen.“ Gegen die Zweckentfremdungsabgabe hat die Stiftung Widerspruch beim Bezirksamt eingelegt. Eine dauerhafte Lösung ist noch nicht gefunden. Von der Politik heißt es, sie arbeite daran. Zumindest verspricht das Staatssekretär Alexander Fischer (Linke) bei der Eröffnungsfeier in der Tieckstraße. Denn die Versorgung von obdachlosen Menschen müsse sich verbessern. „Wer nach einem Bett fragt, wird eines bekommen.“ * Name geändert. – Text: Julia Weiss
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Diesen Text haben wir dem neuen Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Mitte entnommen. Den Newsletter für Berlins zentralen Bezirk gibt es komplett und kostenlos unter leute.tagesspiegel.de.
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Zur Autorin: Julia Weiss ist freie Autorin beim Tagesspiegel. Sie freut sich über Anregungen und Kritik. Schreiben Sie ihr eine Mail oder folgen Sie ihr auf Twitter.