Namen & Neues
Mühlendammbrücke: "Schmalste Bürgersteige, die es hier je gab"
Veröffentlicht am 11.11.2020 von Julia Weiss
Lange Risse gehen durch den Beton der Mühlendammbrücke in Mitte. Auch Roststellen sind auf den Fotos der Verkehrsverwaltung deutlich zu sehen. „Die Brücke ist in einem schlechten Zustand“, sagt Staatssekretär Ingmar Streese (Grüne) bei einer digitalen Bürgerveranstaltung am Montag. Risse seien ein Alarmzeichen, der Neubau der maroden Brücke dürfe nicht länger nach hinten geschoben werden.
Dass es plötzlich so schnell gehen muss, ärgert die Kritiker dieser Planung, denn in der Bevölkerung formiert sich schon länger Protest. Ende 2019 schlossen sich mehrere Initiativen zur „Allianz für einen neuen Mühlendamm“ zusammen, darunter der Verein Berliner Historische Mitte, der Berliner Fahrgastverband und die Fußgängervereinigung Fuss e.V. Sie fordern eine schmalere Brücke als aktuell geplant, mit weniger Fahrspuren, damit nicht mehr so viel Verkehr durch Berlins historisches Zentrum rauscht.
Die Senatsverwaltung für Verkehr plant zwei Autospuren auf jeder Seite. Momentan sind es noch vier. In der Mitte soll die Straßenbahn fahren. Die Breite des Bauwerks soll von 45,20 Meter auf 39,60 Meter reduziert werden – immer noch überdimensioniert und anachronistisch, nennen das Kritiker. „Initiativen aus der Zivilgesellschaft wollen schon lange an der Planung mitwirken, gesprochen hatte bisher niemand mit ihnen“, kritisiert Hendrik Blaukat von der Interessengemeinschaft Leipziger Straße.
Am Montag konnten Interessierte erstmals per YouTube Fragen und Einwände an die Senatsverwaltung richten. Viel Einfluss dürfte das allerdings nicht mehr haben. Denn der Zeitplan für den Realisierungswettbewerb steht bereits fest und die Bedingungen dafür sind größtenteils festgelegt. Die Forderung der Initiativen und des Bezirksamts Mitte nach einer Brücke mit nur einer Autospur pro Fahrtrichtung, scheint so gut wie vom Tisch zu sein.
Aus Sicht der Senatsverwaltung hat das einen guten Grund: „Wir wollen ein Nadelöhr vermeiden“, sagt Streese. Die Brücke müsse heutigen Verkehrsanforderungen gerecht werden. Dafür seien je zwei Autospuren notwendig. Man könne den Verkehr nicht so einfach weglenken. „Andere Stadtteile würden dadurch benachteiligt werden“, erklärt der Staatssekretär. Autofahrer suchen sich dann eben andere Wege. „Wir wollen eine realistische Verkehrswende“. Die Zahl der Einwohner und der ansässigen Unternehmen in Berlin wachse. Das müsse berücksichtigt werden.
Die Senatsverwaltung plant mit 60.000 Fahrzeugen täglich, die nach Fertigstellung über die neue Brücke fahren sollen. Das wären 20 Prozent weniger als heute. Mittes Bezirksstadtrat Ephraim Gothe (SPD) fordert, nur noch mit der Hälfte des heutigen Verkehrsaufkommen zu planen. Beide Überlegungen setzen darauf, dass bis dahin mehr Menschen in öffentliche Verkehrsmittel steigen statt ins Auto. Nur wie rigoros man die Verkehrswende an dieser Stelle umsetzen will – darüber gibt es unterschiedlichen Vorstellungen.
Dass ein SPD-Stadtrat in der Diskussion um die Mühlendammbrücke als Kämpfer für die Verkehrswende auftritt, während die grüne Verkehrsverwaltung bremst, ist dabei nicht ohne Ironie. „Ich glaube, Herr Gothe ist in der falschen Partei“, scherzt eine Teilnehmerin der Online-Debatte in der Kommentarspalte bei YouTube.
Gothe verweist auf Paris, wo die Bürgermeister Anne Hidalgo visionäre Verkehrskonzepte entwickelt und vierspurige Hauptstraßen wie die Champs-Élysées zu halben Fußgängerzonen umwandeln will. Das wünscht er sich auch für Berlin. „Ich erwarte von dieser Verkehrsverwaltung, dass sie mit mehr Elan Konzepte entwickelt“, sagt er und weist darauf hin, dass die neue Mühlendammbrücke nur vier Meter breite Fußwege bekommen soll. „Das sind die schmalsten Fußwege, die es an dieser Stelle je gab.“ Die Radfahrer müssen sich bis zur Fertigstellung der Tramstrecke eine Spur mit den Bussen teilen.
Die Aufteilung lasse sich später nochmal ändern, argumentiert die Verkehrsverwaltung. Dafür sei ein Ideenteil im Realisierungswettbewerb vorgesehen. Aufenthaltsbereiche, Pflanzen, alles sei möglich, sagt Streese. Aber eben erst in der fernen Zukunft – wenn sich das Verkehrsaufkommen tatsächlich verringert habe.
Trotz massiver Kritik hält die Senatsverwaltung an ihrem Zeitplan fest. Als nächstes soll der Realisierungswettbewerb europaweit ausgeschrieben werden. Dann gibt es nicht mehr viel Spielraum für Änderungen. Die Senatsverwaltung warnt aufgrund des maroden Zustands der Brücke davor, den Neubau aufzuschieben. Es drohe eine Vollsperrung.
Die Kritiker können nicht verstehen, wieso die Zivilgesellschaft erst jetzt einbezogen wird. „Wer von Alternativlosigkeit spricht, hat zu spät angefangen“, sagt Hendrik Blaukat von der Interessengemeinschaft Leipziger Straße. Er wünsche sich, dass die Bürgerveranstaltung am vergangenen Montag der Auftakt einer gesellschaftlichen Debatte war und nicht das Ende.