Namen & Neues

Was Clemens Torno zum AfD-Austritt bewegte

Veröffentlicht am 02.12.2020 von Julia Weiss

Clemens Torno twittert neuerdings über den Klimawandel und gegen Rassismus. Neben einer Regenbogenfahne auf seinem Profil steht, dass er Typen echt knorke findet, Vegetarier ist und mit Nazis nichts zu tun hat. Der 30-Jährige ist vergangene Woche aus der AfD ausgetreten und damit auch aus der AfD-Fraktion in Mitte. Am Dienstagabend entschuldigte er sich vor den anderen Bezirksverordneten: „Es tut mir leid“, sagte er. Ihm sei bewusst geworden, dass „jeder, der sich an der Spaltung der Gesellschaft beteiligt, an rassistisch motivierten Taten mit schuld ist“.

Als Torno vor sechs Jahren in die AfD eingetreten war, hatte er noch ganz andere politische Einstellungen. „Ich war Nationalist“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Ich hatte Ressentiments gegen Muslime. Ich war für starke Grenzen und Abschottung.“ Er provozierte, überschritt Grenzen. 2016 stand er wegen Beleidigung vor Gericht. Er hatte eine Veranstaltung der Grünen in Charlottenburg-Wilmersdorf heimlich gefilmt und den Raum mit den Worten „ihr seid alles Linksfaschisten“ verlassen. Dafür ließ er sich in der AfD feiern.

Doch eines störte Torno nach eigener Aussage damals schon an der AfD: der rechtsextreme Flügel. Beim Neujahrsempfang der Partei im Jahr 2016 traf er Björn Höcke, den Fraktionsvorsitzenden der AfD im Thüringer Landtag. Als Torno ein Foto von ihm und André Poggenburg machen sollte, sagte Höcke „Entartung, Entartung, Entartung“ statt „Cheese“. Auch in der Jungen Alternative Berlin, in der Torno Mitglied war, hörte er nationalsozialistische Begriffe. Dort sei zum Beispiel vom „Führerprinzip“ die Rede gewesen. „Ich habe mich einlullen lassen“, sagt Clemens Torno heute. „Habe mir eingeredet, dass es in jeder Partei komische Leute gebe.“

Sein Umdenken habe mit den rechten Ausschreitungen in Chemnitz begonnen. Als er Höcke mit weißer Rose im Knopfloch neben Pegida-Funktionären marschieren sah, sei ihm das zu weit gegangen. Ungefähr zeitgleich begann er eine Ausbildung zum Rechtsanwaltsfachangestellten, beschäftigte sich mit EU-Recht und fand die Idee eines vereinten Europas plötzlich gar nicht mehr so verkehrt.

Bei der Arbeit traf er auf eine muslimische Kollegin. „Als ich sie zum ersten  Mal mit Kopftuch sah, war ich schockiert“, erinnert er sich. Dann habe er sie etwas näher kennengelernt. Sie brachte ihm Mittagessen mit. „Wir wurden gute Freunde“, sagt er. Er habe sich immer mehr fehl am Platz gefühlt in einer Partei, die er heute als rassistisch beschreibt.

Der Ausstieg aus der Partei sei ihm trotzdem nicht leicht gefallen. Er habe monatlich 450 Euro bei der AfD-Fraktion Mitte verdient, auf die sei er angewiesen gewesen. Aber Torno spricht auch von einem inneren Prozess. „Ich musste mich von meinen Einstellungen lösen“, sagt er. Die Zugehörigkeit zu einer Partei sei ihm schon immer wichtig gewesen. Seit seinem 15 Lebensjahr war er jahrelang aktives Mitglied in der CDU, dann kurz bei den Piraten, bis er in die AfD eintrat.

Vor seinem Parteiaustritt hatte sich Clemens an „Exit Deutschland“ gewandt. Eine Organisation, die Menschen primär beim Ausstieg aus rechtsextremen Gruppen oder Organisationen hilft. Dort habe man auch Kontakt zu mehreren zweifelnden oder ehemaligen AfD-Mitgliedern, sagt Geschäftsführer Bernd Wagner auf Nachfrage. Der Ausstieg falle den meisten nicht leicht. „Motivierender Hauptfaktor ist der rechtsradikale Drift in der Partei und die erlebte, offene Rechtsradikalität von ihnen wichtig gewesenen Mitgliedern und Funktionären“, sagt Wagner. Nach dem Austritt hätten ehemalige AfD-Mitglieder verbale Anfeindungen erlebt.

Die AfD Berlin hat dieses Jahr 268 Mitglieder verloren. Sprecher Ronald Gläser teilt mit, dass es sich dabei nicht nur um Austritte handelt, die AfD habe auch säumige Beitragszahler ausgeschlossen. 68 Menschen seien neu eingetreten.

Sein Mandat in der Bezirksverordnetenversammlung behält Clemens Torno – zunächst als Fraktionsloser. Aber eigentlich sehnt er sich danach, wieder zu einer Partei zu gehören. „Ich überlege gerade in Richtung SPD oder ÖDP“, sagt er. Er hoffe, dass ihn die Parteien trotz jahrelanger AfD-Zugehörigkeit aufnehmen.
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