Namen & Neues
Bayer-Konzern will Wohnhäuser abreißen lassen – und stößt auf Widerstand
Veröffentlicht am 02.02.2022 von Robert Klages
Lange Zeit waren die Wohnungen der Bayer AG in der Tegeler Straße in Wedding ein Traum für ihre Mieterinnen und Mieter. Altbau in bester Lage zu günstigen Mieten. „Viele wohnen schon seit über 40 Jahren hier“, sagt einer der Bewohner. „So ‚was findet man nicht mehr oft in Berlin.“ Doch vier Gebäude aus der Gründerzeit sollen abgerissen werden, weil der angrenzende Pharmakonzern seine Produktion erweitern will.
„Das würde ein Loch in das Herz unseres Kiezes reißen“, sagt der Mieter, der als Sprecher der Mieterinitiative „Mettmannkiez bleibt“ fungiert. Er möchte aber nicht namentlich genannt werden, da er Sorge hat, dass er dadurch bei einem möglichen Rechtsstreit mit der Bayer AG einen Nachteil haben könnte.
„Im Mettmann-Quartier wohnen über 200 Menschen, es gibt mehrere Ateliers, Handwerksbetriebe und einen Kindergarten“, sagt er. Die Bewohner befürchten, dass langfristig noch mehr Gebäude verschwinden sollen. Denn das gesamte Gelände gehört Bayer und ist als Gewerbegebiet ausgewiesen. Deshalb sind die Mieterinnen und Mieter nicht geschützt.
Lange schien der Abriss deshalb unvermeidbar. Doch nun stößt Bayer auf immer mehr Widerstände. Zunächst verhinderte ein Naturschutz-Gutachten den Abbruch eines ersten leerstehenden Gebäudes. Fledermäuse könnten hier heimisch sein, hieß es.
Und auch der Bezirk Mitte, der den Abriss bereits genehmigt hatte, ist plötzlich nicht mehr einverstanden. Zu vage seien die Pläne, schreibt Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) bei Instagram. „Warum die Häuser jetzt abgerissen werden müssen und was mit den anderen Häusern passieren soll, blieb im Ungefähren.“ Bayer müsse erst „überzeugende Antworten liefern“.
Vergangenen Mittwoch hatte der Konzern das Vorhaben im Stadtentwicklungsausschuss in Mitte vorgestellt. Geplant sei, die Produktionshalle hinter dem Mettmann-Kiez zu modernisieren. „Es wird ein dreistelliger Millionenbetrag investiert, um die Produktion zukunftssicher aufzustellen“, sagte Standortleiter Stefan Klatt. „Da hängen 1000 Arbeitsplätze dran.“ Weil der Umbau bei laufendem Betrieb geschehen solle, brauche man dazu „Baufreiheit“. Was langfristig anstelle der Wohnhäuser entstehen soll, sagte Klatt nicht. Es gebe „erste Ideen“. Man müssen aber erst die Überarbeitung des Bebauungsplanes abwarten.
Die Bezirksverordneten im Ausschuss überzeugte er damit nicht. Dass hier Wohnungen in gutem Zustand abgerissen werden sollen, widerspreche „jeglichen nachhaltigen und sozialen Stadtentwicklungszielen“, sagte die Grünen-Verordnete Evalotte Mohren. „Für eine Baustelleneinrichtung Wohnhäuser abzureißen, finde ich schwierig“, sagte der SPD-Verordnete Sascha Schug. Ob Bayer Alternativen geprüft habe? „Wir sehen keine andere Lösung“, erwiderte Klatt.
Die Mietshäuser stehen dort seit dem 19. Jahrhundert. Mit der Ansiedlung der Schering AG, heute Bayer, wurde der Kiez später als Gewerbegebiet ausgewiesen. Auch der aktuelle Stadtentwicklungsplan Industrie und Gewerbe des Senats schreibt dies fest. Darauf beruft sich Bayer. Das Unternehmen hatte das Areal an der Tegeler Straße nach eigenen Angaben als Erweiterungsgelände für die Produktion erworben. Wann und von wem – darauf gab es von Bayer auf Nachfrage des Tagesspiegels keine Antwort.
Der Bezirk hatte sich bisher in dieser Sache hinter Bayer gestellt und betont, wie wichtig die Entwicklung des Weddinger Werkes für die Stadt sei. Nun veröffentlichte Baustadtrat Gothe doch Bedingungen für den Abriss. Dieser solle erst dann erfolgen, „wenn es zwingend nicht anders geht und gleichwertige Wohnungen für die Mietparteien gefunden wurden“.
Die Mieter machen derweilen klar, dass sie gar nicht umziehen wollen. „Ein Abriss wäre rückwärtsgewandt und ein Widerspruch zur modernen Stadtplanung“, sagte der Sprecher der Mieterinitiative: „Wir wollen, dass unser Kiez erhalten bleibt.“ – Text: Julia Weiss