Unser Tipp für Sie

Veröffentlicht am 25.04.2022

„Am 4. März gegen fünf Uhr morgens trommelte der Sturm 33 an unsere Wohnungstür. Sie klingelten wie verrückt.“ So beginnt Gabriele Tergit in ihrer Autobiographie „Etwas Seltenes überhaupt“ die Schilderung eines Festnahmeversuchs durch die SA, genauer: deren Berliner Gruppierung „Sturm 33“. Tergits Mann Heinz Reifenberg „ging zur Tür, öffnete einen Spalt. Einer stellte seinen Fuß in den Spalt, die Sicherheitskette hielt: »Haftbefehl für Ihre Frau.« »Von wem?« »Direkt von Reichsminister Göring.« Heinz preßte die Tür, bis der Mann den Fuß zurückzog, und knallte die Tür zu.“ Nach einigen Anrufen kam die Polizei, Anfang 1933 noch nicht nationalsozialistisch durchdrungen, der bekannten Gerichtsreporterin und Schriftstellerin zur Hilfe, der SA-Trupp zog ab. Nach diesem Vorfall war klar, dass die jüdische Autorin nicht länger in Berlin bleiben konnte. Sie ging ins Exil, Prag, Tel Aviv, schließlich London, wo sie bis zu ihrem Tod 1982 lebte. Erst in letzter Zeit haben ihre Romane „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“, „Effingers“ und „So war’s eben“ in Deutschland die verdiente Beachtung erlangt bzw. wiedererlangt.

Zwei Häuser weiter vom Schauplatz der geschilderten Szene, in Siegmunds Hof 20, erinnert ab diesen Donnerstag die Ausstellung „Zwischen Emanzipation und Assimilation, jüdische Künstlerinnen und Künstler in Tiergarten“ mit Bildern und Biographien an Gabriele Tergit und andere Protagonist:innen mit Bezug zum damaligen Berliner Bezirk, zum Beispiel Else Lasker-Schüler, Nelly Sachs, Walter Benjamin oder Max Liebermann. Die Schau läuft vom 28. April bis zum 15. Juni im Meerbaum-Haus in Siegmunds Hof. Organisiert und gestaltet wurde sie von Mitgliedern des Vereins Gleis 69, der sich für Erinnerung im Bezirk stark macht. Zu besichtigen ist die Ausstellung montags bis mittwochs von 10 bis 13 Uhr, donnerstags von 17 bis 19 Uhr sowie zu Veranstaltungen und nach Vereinbarung. Mehr Informationen hier und hier.

Auch eine Gedenktafel für Gabriele Tergit hat der Verein Gleis 69 initiiert. Die eigentlich für Juli geplante Enthüllung in Siegmunds Hof verschiebt sich allerdings wegen Bauarbeiten dort auf ein noch unbestimmtes Datum. Mehr zur Gedenktafel hier.

  • Bild: Jens Brüning c/o Schöffling & Co
  • Text: Markus Hesselmann
  • Den Nazis entkommen, schrieb Gabriele Tergit nach dem Krieg für den Tagesspiegel, meist aus London. Dass die Zusammenarbeit nur kurz und sporadisch war, weil ihre kritische Sicht aufs Nachkriegsdeutschland und ihr Wunsch nach Aufarbeitung der Nazi-Zeit nicht willkommen war, beschreibt dieser Tagesspiegel-Artikel, der zum 75. Gründungsjubiläum unserer Zeitung veröffentlicht wurde.