Nachbarschaft
Veröffentlicht am 18.05.2018 von Laura Hofmann
Arne Vogelgesang, 40, ist Regisseur und Gründungsmitglied des Performance-Labels internil. Seine Performance „Gog / Magog 4: Europa“ ist noch bis zum 20. Mai im Theaterdiscounter zu sehen.
Herr Vogelgesang, in Ihrer aktuellen Performance in Berlin zeichnen Sie ein Leben in Europa nach dem Armageddon. Das Stück spielt in einer unbestimmten Zukunft, nach einem großen Krieg. Haben Sie Angst vor der Zukunft? Erstaunlicherweise nicht! Ich hatte immer persönlich das Vertrauen, dass ich irgendwie zurecht kommen werde mit der Zukunft, wie immer sie wird. Und all das Wissen darüber, was meiner Welt bevorsteht, ändert daran nichts. Das liegt nicht daran, dass ich mir Illusionen darüber mache, was kommt: Künstliche Intelligenz, demographischer Wandel, Klimawandel, immer weniger Verteilungsgerechtigkeit, politische Radikalisierung bis hin zur Aufkündigung der Demokratie – an furchterregenden Entwicklungen herrscht ja wahrlich kein Mangel. Aber einerseits ist Angst ein schlechter Ratgeber, und diejenigen, die mit solcher Angst politische oder andere Geschäfte machen, um so mehr. Andererseits wird aus dem Wissen oder Glauben an eine kommende Umwälzung nicht automatisch ein Gefühl. Unsere Unfähigkeit oder unseren Unwillen, globale Bedrohungen wie den Klimawandel emotional zu integrieren, thematisiert auch unser Abend.
Was ist die Idee hinter dem Stück? „Gog / Magog“ ist eine Serie von vier Stücken, in denen es um die Darstellung von Krisen und Konflikten geht. Wir sind virtuell schon in die Ukraine, nach Syrien und nach Israel gereist und kommen nun mit dem letzten Teil der Serie quasi nach Hause. Unser Material stammt dabei komplett aus dem Internet. Es geht uns also nicht um „die Wahrheit“, sondern darum, was und wie andere Menschen über unser Thema sprechen. Wir leben ja in einer Zeit, in der sich Wahrheitsfragen wieder in Glaubensfragen verwandeln. Unser etwas trashiger Bezugsrahmen dafür sind apokalyptische Episoden in der Bibel, dem Koran und der Torah, wo „Gog und Magog“ als Boten des Untergangs auftauchen. Für unser Europastück spielen wir deshalb die Erinnerungsarbeit einer zukünftigen Stammeskultur im Kreis um ein künstliches Lagerfeuer durch – als eine Art Liturgie des Abschieds von der „Alten Welt“.
In der „zitty“ werden Sie als „der wohl nerdigste Extremismus- und Krisenbeobachter im Theaterkontext, Spezialität: Islamisten und Rechtsextreme“ beschrieben. Wie sehen Sie sich selbst? Herrjeh, das klingt ein bisschen traurig, oder? Zum Glück muss ich mich selbst nicht so oft sehen, dass ich ein klares Bild von mir hätte. Aber es stimmt wohl, dass ich eine gewisse Sammelleidenschaft für randständige Verhaltensweisen habe. Im Extremen wird das Normale kenntlich, das wir sonst nicht wahrnehmen. Ich finde es schade, dass Menschen es nötig, nützlich oder befriedigend finden, andere zu verachten, zu verletzen oder zu töten. Es wäre schön, wenn wir unsere Welt so einrichten könnten, dass wir ohne Menschenfeindlichkeit auskämen. Gerechter für alle. Und ohne dabei den Planeten zu zerstören. Solange wir das nicht schaffen, finde ich es wichtig zu zeigen, was die Konsequenzen sind.
Sie sind 1977 in Berlin geboren. Wie hat sich die Stadt in Ihrer Wahrnehmung verändert, besonders Berlin-Mitte, wo Sie gerade spielen? Ich bin im Osten groß geworden, und das war in meiner Kinder- und Jugendzeit schlicht eine andere Stadt als heute. Vieles ist schöner heute, und ich mag es, dass Berlin so viel Grün und freie Flächen für alle wie das Tempelhofer Feld hat. Auch, dass es eine mittlerweile ziemlich internationale Stadt ist. Aber wir haben ein riesiges Problem mit Wohnraum und steigenden Mieten, mit Grundstücks- und Gebäudespekulation, und mit der Segregation von Lebenswelten. Das Nebeneinander von Mitte, Tiergarten und Wedding bildet das ganz gut ab, finde ich.
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Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute@tagesspiegel.de