Nachbarschaft

Veröffentlicht am 25.05.2018 von Maria Kotsev

Die Nachbar’*innenschaft wird Ihnen auch diese Woche wie gewohnt von meiner Kollegin Laura Hofmann präsentiert, die Sie an dieser Stelle aus Heidelberg grüßt:

Während der Senat vorgibt, über das Zweckentfremdungsverbot die Zahl der Ferienwohnungen in Berlin einzudämmen und sich damit brüstet, in den vergangenen zwei Jahren fast 8000 Wohnungen wieder auf den regulären Mietmarkt überführt zu haben, genehmigt der Bezirk Mitte in bester Citylage in der Brunnenstraße 193 einen Neubau mit 18 möblierten 1-Zimmer-Apartments. Nutzungszweck: „Boardinghouse“, neudeutsch für: Wohnen auf Zeit. Geplante Mietdauer: drei bis 12 Monate, mindestens jedoch nur eine Woche.

Die Nachbar*innen aus der Brunnenstraße 194 wollen das nicht hinnehmen. Gegen die Baugenehmigung haben sie Widerspruch eingelegt. Darin argumentieren sie baurechtlich: Auf dem Grundstück zwischen Vorderhaus und Hinterhaus sei nicht genug Platz für den geplanten Neubau, der auf der Fläche entstehen soll, die eigentlich der Feuerwehr vorbehalten ist. Vor allem gehe es ihnen aber um die baupolitische Komponente des Vorhabens. „Wir hätten nichts gegen Mietwohnungen“, sagt Hans-Ulrich Jörges. „Wir wollen stabile soziale Verhältnisse.“ Er und sein Mitstreiter Peter Schink verstehen nicht, wie solch ein Projekt politisch gewollt sein kann.

Aus dem Stadtentwicklungsamt des Bezirks heißt es im Auftrag von Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD): „Aufgrund des geltenden Baurechts ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.“ Das sei hier der Fall: Die nähere Umgebung rund um den Rosenthaler Platz sei durch Wohn-und Geschäftshäuser, Büros, Verwaltungen und ähnliche Gewerbe geprägt, „so dass sich auch die Art der Nutzung (gewerbliches Wohnen) in die nähere Umgebung einfügt“.

Auch im hinteren Bereich des Grundstücks wird derzeit ein Bürogebäude in ein so genanntes „Boardinghouse“ umgebaut. Hier entstehen 39 Wohnungen auf Zeit, ebenfalls genehmigt vom Bezirk. Und das Vorderhaus in der Brunnenstraße 193 wurde in den vergangenen Jahren entmietet, nun auch hier: Ferienwohnungen. Aus dem Amt heißt es dazu: „In der Nutzungsbeschreibung wurde erläutert, dass ein Mieter*innenwechsel durchaus zwei bis drei Mal im Jahr stattfinden kann, man jedoch bemüht ist, langfristige Mietverträge abzuschließen.“

Dass die „Bemühungen“ nicht wirklich ernst zu nehmen sind, merken die Nachbar*innen aus der Brunnenstraße 194 daran, dass ständig leere Flaschen auf dem Spielplatz im Hinterhof landen. Grölende Partytourist*innen feiern bis in die Morgenstunden und rauben ihnen den Schlaf. Und auch an diesem Dienstagmorgen sucht eine Mitte 20-jährige Frau mit Rollkoffer den Eingang zu ihrem „Apartment auf Zeit“. Jörges und Schink haben sich bereits an Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) gewandt, waren im Bauausschuss zu Gast. Dort hieß es von Stadtrat Gothe: Vielleicht seien hier ja auch Studierendenwohnungen geplant. Da verloren sie den Glauben an den guten Willen in der Kommunalpolitik. „Die Brunnenstraße muss eine soziale Balance erleben“, sagt Jörges. Für ihn, Schink und die anderen Bewohner*innen der Brunnenstraße 194 bleibt die Frage: Wie konnte dieses Projekt entstehen?

Foto: Peter Schink auf der Neubaufläche in der Brunnenstraße 193, fotografiert von Laura Hofmann.

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute@tagesspiegel.de