Nachbarschaft

Veröffentlicht am 06.03.2019 von Laura Hofmann

Karin Bergdoll, 79, ist Mitbegründerin des Netzwerks Frauengesundheit Berlin und gehört zu den Initiatorinnen des heutigen Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung. Bis 2005 war sie als Referatsleiterin im Senat für Frauen zuständig.

Frau Bergdoll, der 8. März ist in Berlin jetzt ein Feiertag. Freut Sie das? Nein, eigentlich nicht. Für mich ist der 8. März ein Kampftag. Da sollten wir uns nicht ausruhen und mit den Männern feiern.

Warum nicht? Weil es nach wie vor viele Dinge gibt, die wir erkämpfen müssen. Ich bin ja seit 1968 dabei und wir haben damals schon für Themen gekämpft, die leider heute noch aktuell sind: Der Paragraf 218 im Strafgesetzbuch, der Schwangerschaftsabbrüche rechtswidrig macht, muss weg, Paragraf 219a ist völlig überflüssig. Welche Frau lässt sich für einen Schwangerschaftsabbruch anwerben?! Für wie verantwortungslos hält man uns eigentlich? Ein Schwangerschaftsabbruch ist für jede Frau schmerzhaft und nun wirklich kein Vergnügen – ich weiß das, ich hatte selbst einen.

Mit dem Kompromiss der Bundesregierung zum Paragraf 219a sind Sie also nicht zufrieden? Ich bin damit nicht einverstanden, ich verstehe und akzeptiere auch nicht, dass die SPD da eingeknickt ist.

Auch bei der Repräsentation von Frauen in Parlamenten gibt es noch Defizite. Der Frauenanteil im Bundestag liegt bei nur 30 Prozent, im Berliner Abgeordnetenhaus sind 33 Prozent der Abgeordneten Frauen. Brandenburg hat kürzlich ein Paritätsgesetz beschlossen, in Berlin will Rot-Rot-Grün das jetzt prüfen. Ein richtiger Schritt? Ja, natürlich. Jedes Bundesland sollte dieses Paritätsgesetz beschließen, und auch der Bundestag. Die Einwände, dass das rechtlich nicht möglich sei, halte ich für vorgeschoben.

Werden Frauen dann nicht als „Quoten-Frauen“ abgewertet, weil es Stimmen gibt, die sagen, sie hätten nicht wegen ihrer Qualifikation, sondern wegen ihres Geschlechts einen Listenplatz bekommen? Wie ist es denn bei Männern, wenn ich mal höflich nachfragen darf? Das ist das alte Argument: Dass Frauen nicht genügend qualifiziert seien. Das ist Quatsch!

Sie waren bis 2005 als Referatsleiterin in der Senatsverwaltung für Frauen zuständig. Wenn Sie zurückschauen – wie hat sich die Situation für Frauen in Berlin verändert? Ich schaue sehr gerne auf diese Zeit – insgesamt 15 Jahre – zurück. Wir konnten wirklich gute Frauenpolitik machen, weil auch die finanziellen Mittel zur Verfügung standen. Ich selbst habe z.B. eine Tagung zur Situation behinderter Frauen in Berlin mitorganisiert und auch Gewalt gegen Frauen thematisiert. Das war alles möglich und dafür bin ich heute noch dankbar. Wir haben ja auch einiges erreicht.

Zum Beispiel? Die Frauenszene in Berlin ist beispielhaft. Die Frauenhäuser, Frauenzentren, Frauenberatungsstellen, Familienplanungszentren. Dann gibt es das Berliner Netzwerk Behinderter Frauen, außerdem zahlreiche Migrantinnenprojekte. Wir brauchen zwar mehr Frauenhausplätze, aber insgesamt ist die Szene ziemlich gut aufgestellt.

Ein wichtigstes Anliegen war immer die Frauengesundheit. Was unterscheidet die Frauen- von der Männergesundheit? Und welche Defizite gibt es in diesem Bereich? Frauengesundheit betrachte ich einmal unter dem Gesichtspunkt von Gewalteinwirkung. Gewalt gegen Frauen und Gesundheit haben ja viel miteinander zu tun, da geht es um psychische und körperliche Gesundheit. Und Frauengesundheit an sich ist ja auch eine andere als Männergesundheit. Frauen haben andere Körperlichkeiten als Männer. Außerdem hängt Gesundheit stark von den Lebenswelten ab, in denen man sich befindet. Die unterscheiden sich auch zwischen Männern und Frauen. Deshalb muss gesundheitliche Versorgung und Forschung geschlechtsspezifisch sein. Früher wurde immer alles am mittelalten weißen Mann erforscht. Das ändert sich jetzt aber.

Sie gehören zu den Initiatorinnen des heutigen Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung. Was denken Sie über die #metoo-Debatte? Hat sie das überrascht? Nein, natürlich nicht. Sexuelle Belästigung ist an der Tagesordnung. Selbst alte Frauen wie ich haben manchmal eine Hand am Hintern, wenn es in der S-Bahn voll ist. Ich finde diese #metoo-Debatte außerordentlich gut, weil das Thema endlich wieder diskutiert wurde. Zum Beispiel auch sexistische Werbung. Die haben wir auch in Berlin, obwohl einige Gleichstellungsbeauftragte sich dagegen einsetzen und einige Bezirke Verbote beschlossen haben. Es gibt sie aber noch. Auf dem Markt in Friedenau gab es einen Stand, der halbe Hähnchen verkaufte. Und oben auf dem Dach lag so ein Hühnchen, Beine breit. Darunter stand: „Nimm mich!“. Da bin ich hingegangen und habe gesagt: Ich gebe Ihnen genau 14 Tage Zeit, damit dieses sexistische Schild verschwindet. Ist doch hart – nimm mich. Als ob wir Hühnchen mit breiten Beinen wären!

Foto: Silke Rudolph

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute@tagesspiegel.de