Nachbarschaft
Veröffentlicht am 20.11.2019 von Laura Hofmann
„Unser schönes, altes Haus am Zionskirchplatz ist vom Abriss bedroht, weil ein Großinvestor seinen Gewinn maximieren möchte“, schreiben die Mieterinnen und Mieter in der Zionskirchstraße 22/24. Ihr Gebäudekomplex, bestehend aus drei Altbauten direkt an der Zionskirche, wurde im Sommer zum wiederholten Mal verkauft.
Jetzt fürchten die dort lebenden Filmemacher und Kostümbilderinnen, Autorinnen, MusikerInnen, Dolmetscher, ArchitektInnen und ihre Familien um ihr Zuhause. Denn der neue Besitzer, ein Investor, der auf möbliertes Wohnen auf Zeit spezialisiert ist, hat einen Antrag auf Negativtest beim Bezirksamt gestellt. Damit will er sich amtlich bestätigen lassen, dass es sich bei den Häusern nicht um schützenswerten Wohnraum handelt, es ist also eine eine Art Vorstufe zum Abrissantrag. Sein Gesuch begründet er mit mangelnder Wirtschaftlichkeit. Dass die Häuser von reparablem Schwamm befallen sind, wusste er allerdings auch vorher. Trotzdem hat er das Grundstück für knapp zehn Millionen Euro erworben.
„Welcher Eigentümer gibt solch hohe Summen für ein sanierungsbedürftiges Haus aus, zu einem Teil noch mit Mietern darin?“, fragten sich die Kostümbildnerin Nicole von Graevenitz und ihre Nachbarn, noch 11 Parteien sind übrig, die restlichen Wohnungen wurde in den vergangenen Jahren bereits „entmietet“. Theoretisch haben die Mieter ein Vorkaufsrecht. 4000 bis 4800 Euro pro Quadratmeter wurde ihnen als Kaufpreis für ihre unsanierten Wohnungen genannt. Hinzu kämen noch Kosten in unabsehbarer Höhe für Sanierung und Modernisierung des Hauses.
Von Graevenitz und der Rest der Hausgemeinschaft fangen an zu recherchieren, finden heraus, dass der neue Besitzer ihres Zuhauses sowohl besagten Antrag auf Negativtest gestellt hat, als auch bei der Bauaufsicht einen Vorbescheid für Modernisierungen, Fahrstühle und Balkone, beantragt hat, der im zweiten Anlauf bewilligt wurde. Was merkwürdig ist, weil er doch behauptet, das Haus sei für ihn unwirtschaftlich.
Das Hauptgeschäft des neuen Eigentümers ist die Errichtung und der Verkauf von Microflats: Wohneinheiten von 15-30 Quadratmetern, die große Renditesteigerungen versprechen. Meist sind sie teilmöbliert, dann entfällt auch die Mietpreisbremse. Stellt er sich so etwas auch am Zionskirchplatz vor?
In einem Brief schreibt die Hausgemeinschaft: „Alles wird luxussaniert. Oder gleich abgerissen und teuer neu gebaut. Eine 3-Zimmerwohnung in der Gegend kostet um die 2000 Euro warm. Oft auch mehr. Arbeitsräume sind dann zusätzlich definitiv nicht mehr finanzierbar. Für niemanden von uns hier. Wir würden den Kontakt zu unserer Buchhändlerin verlieren, zum alternativen Kulturhaus ACUD, wo fast alle von uns schon mal aktiv aufgetreten sind, zur Kirchengemeinde, die auch Kulturort ist und Einige von uns unterstützt, zu den Cafés und ihren Besitzern, von denen die ältesten auch schon verdrängt worden sind, zu den Musikern, Künstlern, Freunden, Schülereltern, zum Altersheim, in dem die Musikschüler unserer Hausgemeinschaft vorgetragen haben, zu Verwandten, die um die Ecke wohnen, zu den Nachbarn, zu den Freunden unserer Kinder, zu allem, was unser Leben ausmacht. Unser aller Leben hier.“
Den Investor habe ich um eine Stellungnahme gebeten, die Geschichte geht in jedem Fall weiter…
Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute@tagesspiegel.de
Text: Laura Hofmann
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