Nachbarschaft
Veröffentlicht am 12.02.2020 von Laura Hofmann

Rainer Pede leitet das Sprachförderzentrum Mitte, das in diesem Jahr seinen 10. Geburtstag feiert. Ich habe ihn zum Gespräch getroffen.
Was macht das Sprachförderzentrum eigentlich genau? Entstanden ist es aus der Zusammenarbeit zwischen der Schulaufsicht Mitte und dem Bezirk. Wir wollen organisieren, dass Fachkräfte gut ausgebildet sind und wissen, wie man Sprachförderung macht. Das heißt, wir führen selbst keine Sprachkurse durch, das macht die Volkshochschule viel besser. Wir entwickeln Konzepte, machen Fortbildungen für Erzieherinnen und Lehrkräfte. Die Grundidee ist, dass wir eine Qualifizierung der pädagogischen Mitarbeiter in Kita und Grundschule brauchen, weil dort die Grundlagen des Spracherwerbs gelegt werden.
Aber es gibt in Berlin zu wenige Kitaplätze…Ja, das ist ein Problem. Und deswegen werden diejenigen, die sich am wenigsten in unserem System auskennen, unter anderem eben Zugewanderte, immer hinten runterfallen. Deshalb bekommen bestimmte Familien, die ein eher niedriges Bildungsniveau haben und sich in den Strukturen nicht auskennen, keinen Kitaplatz.
Unter bestimmten Umständen gibt es in Berlin ja sogar so etwas wie eine Kitapflicht, was ist damit? Paragraf 55 des Schulgesetzes besagt: Wenn ein Kind 18 Monate vor statistischem Schuleintritt nicht in eine Kita geht, muss es vom Sprachberaterteam auf seine Sprachkenntnis getestet werden. Wenn festgestellt wird, dass das Kind einen erhöhten Sprachförderbedarf hat, werden die Eltern verpflichtet, es in eine Kita zu geben. Wenn sie das nach 14 Tagen nicht nachweisen, ist das Schulamt eigentlich verpflichtet, den Kindern ein Sprachförderangebot zuzuweisen, also per Zwang, mit Bußgeldandrohung.
Eigentlich…Das ist einer der großen Skandale in Berlin, dass es dieses Gesetz gibt und in vielen Bezirken ein ganz großer Bedarf da ist. Es aber gleichzeitig zu wenig Kitaplätze gibt, als dass das Gesetz auch tatsächlich greifen kann. Und die sogenannten Sprachförderangebote, die es eigentlich 25 Stunden pro Woche geben müsste und die den Kitabesuch ersetzen sollen, konnten über viele Jahre nicht stattfinden.
Was folgte daraus? Wir haben also jahrelang 18 Monate vor Schuleintritt Kinder untersucht, haben festgestellt, dass sie einen erhöhten Sprachförderbedarf haben…und dann haben wir sie eingeschult, ohne dass etwas passiert ist. Wie dann die Grundschullehrer reagieren, kann man sich vorstellen. Und wie dann die Ergebnisse der Vergleichsarbeiten der dritten Klassen aussehen, ist auch kein Wunder. Das ist das Schlimmste: Dass wir das sehenden Auges über viele Jahre verfolgt und es nicht hinbekommen haben, solche Angebote zu machen.
Und jetzt? Unser Bezirksamt Mitte hat im Dezember in seinen Zielen festgelegt, dass im Jahr 2020 definitiv der Aufbau dieser Sprachförderangebote für eine Versorgung aller Kinder erfolgen soll. Das ist ein Riesenerfolg. Wir haben jetzt das erste Angebot bei uns unten im Haus mit 24 Plätzen. Insgesamt brauchen wir im Bezirk mindestens 100–120 Plätze.
Auch eine Herausforderung. Ja, damit schaffen wir Gruppen, in denen nur Kinder mit erhöhtem Sprachförderungsbedarf sind. Da müssen die Erzieherinnen schon vom Ansatz her besondere Sprachförderung leisten, damit die Kinder das gleiche Niveau wie in einer normalen Kita erreichen. Beim ersten Angebot hier im Haus arbeiten auch Erzieher, die eine Fachausbildung Sprache gemacht haben, das ist natürlich hilfreich. Der Träger muss ein Konzept mit dem Schwerpunkt Sprachförderung einreichen. Zweimal die Woche geht außerdem die Kollegin vom Sprachberaterteam in die Gruppe und stellt bestimmte Angebote vor oder berät die Kollegen.
Blicken Sie optimistisch in die Zukunft? Das könnte eine Erfolgsgeschichte werden. Allerdings brauchen wir noch mehr Plätze. Im Moment haben wir 24. Dieses Jahr wurden schon 84 Kinder auf Sprachkenntnisse getestet, davon haben 67 einen Sprachförderbedarf. Und es kommen welche dazu, die Testungen laufen noch. Mit unserem Angebot können wir nicht vollständig den Bedarf vom letzten Jahr decken, wir haben eine Warteliste. Und jetzt kommen schon wieder die Neuen. Dennoch ist das ein Erfolg für diesen Bezirk. In den anderen Bezirken gibt es vereinzelt Angebote, aber keine flächendeckenden. Das ist eine große Herausforderung für Berlin.
Wie kann das Sprachniveau der Berliner Kinder und Jugendlichen noch verbessert werden? Wir könnten noch viel mehr machen. Von der Entwicklungspsychologie her ist es logisch, dass man den Schwerpunkt auf Kita und Grundschule legt. Wenn man sich jetzt aber anschaut, wie schlecht die Ergebnisse teilweise in den Oberschulen sind, weil die Schüler überhaupt nicht die Aufgabenstellung verstehen, muss man eigentlich da mehr anbieten.
An welche Angebote denken Sie da? Theoretisch muss jeder Lehrer und jede Lehrerin immer mitdenken, wie er oder sie innerhalb seines Fachs Sprachförderung machen kann. Außerdem hat jede Schule ein Sprachförderkonzept und einen Sprachbildungskoordinator, der ein bis zwei Stunden dafür freigestellt wird. Das ist ziemlich wenig. Wir können aber begleitend unterstützen. Bisher hat das Sprachförderzentrum Berlin Mitte für den Oberschulbereich nur eine Kollegin mit einer halben Stelle. Wir sind gerade in der Diskussion mit der Schulaufsicht, ob für den Oberschulbereich noch mehr entwickelt werden könnte.
Text: Laura Hofmann, Foto: privat
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