Nachbarschaft

Veröffentlicht am 25.03.2020 von Julia Weiss

„Auch ich bin am Coronavirus erkrankt“: Mit einer Videobotschaft hat sich Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) vergangene Woche aus seiner Wohnung gemeldet. „Bleiben Sie auch schon bei leichten Erkältungsymptomen zu Hause, bis Sie sich vollständig gesung fühlen“, riet er seinen Bürgern. Im Interview erzählt er, wie es ihm geht, wieso er das Coronavirus viel ernster nimmt als noch vor ein paar Wochen und wie er den Bezirk nun von zu Hause aus regiert.

Herr von Dassel, wie geht es Ihnen? Das Coronavirus ist zäh. Ich bin jetzt schon mehr als eine Woche krank, hatte Husten, Gliederschmerzen, Fieber und Druck auf dem Brustkorb und Kopfweh. Ich habe nun mehr Respekt vor dieser Krankheit und kann nachvollziehen, dass sie für weniger gesunde Menschen lebensbedrohlich sein kann. Als die ersten Meldungen aus China kamen, habe ich es noch nicht so ernst genommen. Viele Politiker reagieren jetzt mit totalem Unverständnis, wenn sich Bürger und Bürgerinnen nicht an die Regeln halten. Aber die Politik hat diese Krankheit doch selbst lange unterschätzt.

Wie haben Sie sich angesteckt? Meine Partnerin kam am Samstag vor einer Woche aus der Schweiz zurück und wurde positiv getestet. Für mich gab es dann zwei Möglichkeiten: Meine Partnerin allein zu lassen oder in Kauf zu nehmen, dass ich mich anstecke. Nur drei Tage später, am Dienstag, hatte ich Symptome. Jetzt hoffe ich, dass ich zumindest für eine gewisse Zeit immun sein werde. Wenn meine Bezirksamtskolleg*innen krank werden sollten, bin ich dann wenigstens einsetzbar.

Wie regiert man einen Bezirk von zu Hause aus? Ich arbeite den ganzen Tag am Laptop und am Telefon. Bisher bin ich nur einmal dazu gekommen, einen Mittagsschlaf zu machen. Ich halte Kontakt zu den Bezirksverordneten. Die BVV fällt aus, damit sie trotzdem die Möglichkeit für Anregungen haben, können sie sich direkt an mich wenden. Das Verwaltungshandeln wird in diesen Tagen aber ohnehin stärker von Bund und Land vorgegeben als sonst. Ich telefoniere mit Bürgern und beantworte Fragen. Und ich bringe mich mit meinen Erfahrungen ein, die ich in der Quarantäne mache.

Inwiefern? Sie sind ja von einem Tag auf den anderen vollkommen abhängig von der Hilfe anderer. Ich selbst bin gut versorgt, aber nicht jeder bekommt Hilfe von Verwandten, Nachbarn oder Freunden. Die, die nicht auf ein solches Netz zurückgreifen können, müssen wir unterstützen. Diese Hilfen müssen wir in den nächsten Tagen aufbauen. Viele unserer Sozialarbeitenden können momentan nicht arbeiten. Da haben wir personelle Reserven.

Wie funktioniert das Bezirksamt während des Shutdowns? Wir gucken, was notwendig ist und was nicht. Einen Personalausweis oder einen Parkausweis kann man auch später noch erneuern lassen. Die Bürgerämter vergeben nur Nottermine. Auf die Leistungen des Sozialamts sind dagegen viele Menschen angewiesen. Wir haben eine Galerie zu einem Empfangsfoyer umgebaut, damit wir das Publikum besser steuern können und es sich nicht auf den Fluren staut. Die Bürgerinnen und Bürger warten an der frischen Luft. Die Frage ist nur, wie lange halten wir den Notbetrieb durch? Für ein paar Monate können viele Dinge warten, aber nicht ein Jahr lang.

Was sind die größten Herausforderungen für den Bezirk in dieser Situation? Wir müssen uns jeden Tag neu auf die Situation einstellen, morgen kann schon wieder alles anders sein. Wichtig ist, dass wir als Bezirksamt handlungsfähig bleiben. Wenn die Zahl der Infizierten steigt, könnten auch mehrere Mitarbeiter gleichzeitig krank werden. Deshalb lassen wir ganz bewusst einen großen Teil unserer Beschäftigten als Reserve zuhause. Dafür bitte ich um Verständnis. Wir müssen handlungsfähig bleiben, auch wenn die Corona-Krise noch länger andauert.

Sie haben in einem Videoappell die Menschen in Mitte dazu aufgefordert, sich an die Regeln zu halten. Haben es nun alle verstanden? Die Situation hat sich verändert. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sind die Straßen fast leer. Ich finde es menschlich, dass man den Ernst der Lage nicht sofort begreift. Ich mache mir aber Sorgen um die Familien, denen die Decke auf den Kopf fällt. Nicht in jeder Wohnung kann man sich in eine Ecke zurückziehen. Wie können wir den Familien helfen, die wenig Platz haben, wo der Fernseher dröhnt und der Vater schnell mal eine Ohrfeige verteilt. Wie verhindern wir häusliche Gewalt?

Gibt es dazu schon Ideen? Momentan haben Zoo und Tierpark geschlossen. Das ist auch richtig. Wenn die Ausgangsbeschränkungen länger dauern, könnte man ihn gezielt für solche Familien öffnen. Vielleicht könnten wir auch ehrenamtliche Strukturen aufbauen, damit die Kinder mal raus und die Eltern zur Ruhe kommen.

Wie lange müssen Sie nun noch in Quarantäne bleiben? Ich muss mindestens drei Tage symptomfrei sein. Ich hoffe, dass ich nächsten Montag raus kann. Aber das Coronavirus ist leider ein echt hartnäckiges Biest.

Foto: Screenshot

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute@tagesspiegel.de