Nachbarschaft
Veröffentlicht am 22.04.2020 von Julia Weiss
Auf vier Flächen in Mitte haben die Deutsche Wildtierstiftung und der Bezirk neue Lebensräume für Wildbienen geschaffen. Christian Schmid-Egger leitet das Projekt, das nun mit dem Preis der UN-Dekade Biologische Vielfalt ausgezeichnet wurde. Im Interview erklärt er, wieso es immer weniger Wildbienen in Berlin gibt und wie man den eigenen Balkon zur Nahrungsstelle für die Insekten machen kann.
Herr Schmid-Egger, wie geht es den Wildbienen in Berlin? Es werden immer weniger. Das Artensterben ist leider Realität. Das liegt vor allem daran, dass Flächen zugebaut werden und der Lebensraum der Bienen kleiner wird. Ein aktuelles Beispiel ist die Lichterfelder Weidelandschaft in Marienfelde. Das ist eines der wertvollsten Habitate für Bienen in Berlin. Die Fläche wird nun zur Hälfte zugebaut. Momentan gibt es schätzungsweise noch 240 Wildbienen-Arten in der Stadt. Für die schaffen wir mit dem Projekt „Mehr Bienen für Berlin“ neue Flächen, zum Beispiel im Spreebogenpark oder auf dem Mittelstreifen in der der Altonaer Straße.
Was brauchen Wildbienen, um zu überleben? Drei Dinge. Zum einen Nahrung: Wildbienen ernähren ihre Larven mit Pollen. Dabei sind viele Arten hoch spezialisiert und nutzen nur eine bestimmte Pflanze oder Pflanzenfamilie. Deshalb brauchen Wildbienen blütenreiche Wiesen und Nistplätze. Offene Böden, Böschungen, Sandflächen oder Totholz – auch hier hat jede Biene ihren eigenen Anspruch. Die Nistplätze sollten höchstens 200 bis 300 Meter von den Blütenwiesen entfernt sein, weiter fliegen die Bienen nicht. Und das Mikroklima muss stimmen. Wildbienen mögen es warm und trocken. Je mehr dieser Strukturen man in einer Stadt schafft, desto mehr Arten gibt es.
Lässt sich ein solcher Lebensraum künstlich herstellen? Ja, wir legen Blühflächen an. Dazu haben wir eine Blütenmischung mit 40 Arten speziell für Berlin entwickelt. Das Saatgut sollte heimisch sein, deshalb kommt es aus Brandenburg. Wir legen außerdem offene Bodenstellen an, in denen die Bienen nisten können. Dazu reißen wir Böden auf oder wir bauen an Hängen und Böschungen Stufen ein. Eine sehr gut geeignete Fläche in Mitte liegt im Spreebogenpark, dort ist viel Platz. Der Mittelstreifen in der Altonaer Straße ist nicht so ideal, weil der Autoverkehr die Bienen stört. Trotzdem finden sie dort nun Nahrung. Wir wollen zeigen, dass auch kleine Veränderungen den Wildbienen nützen. Auch Balkone sind tolle Nahrungsquellen.
Wie gestalte ich meinen Balkon bienengerecht? Küchenkräuter wie zum Beispiel Thymian, Oregano, Salbei werden von Wildbienen gerne besucht. Auch Glockenblumen und Korbblütler wie Astern sind beliebt. Wichtig ist, dass es sich dabei nicht um Zuchtformen handelt. Es müssen die alten Arten sein. Die bekommt man in jedem Gartencenter. Wir haben eine Liste mit 120 Arten zusammengestellt, die es in Gartengeschäften zu kaufen gibt. Die Wildbienen haben eine hoch entwickelte Fähigkeit, ihre notwendigen Blüten zu finden. Dafür fliegen sie bis in den fünften Stock. Und anders als Wespen und Honigbienen stechen sie nicht. Wildbienen sind vollkommen harmlos.
Haben Sie noch weitere Flächen in Berlin im Blick, die für Wildbienen geeignet wären? Wir sind mit den Wohnungsbaugesellschaften im Gespräch. Die haben oft große Flächen, die wir umgestalten könnten. Und wir geben Vorträge in Kleingartenanlagen. Auch hier kann man viel für die Wildbienen tun.
Text: Julia Weiss, Foto: privat
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