Nachbarschaft
Veröffentlicht am 01.07.2020 von Julia Weiss

Sercan Sevindik weiß aus eigener Erfahrung, dass Jugendliche Idole brauchen. Deshalb arbeitet er neben seinem Germanistikstudium als Nachhilfelehrer bei SprInt, einem Projekt für Sprach- und Bildungsförderung in Wedding. Während seiner Schulzeit war er dort selbst Schüler und besuchte regelmäßig den Förderunterricht. „Für mich war das nicht nur Nachhilfe, sondern auch ein Treffpunkt in der Nachbarschaft“, sagt er heute.
Der 22-Jährige kennt den Wedding gut. Er ist hier als Kind türkischer Einwanderer geboren und aufgewachsen. Er selbst hatte Glück, wie er selbst sagt, weil seine Mutter gut integriert ist und sich um seine Bildung bemühte. Andere bekommen weniger Unterstützung. „Gerade bei vielen Jungs gilt Bildung als uncool“, sagt er. „Die gehen lieber zum Sport und wer zur Nachhilfe geht, ist der Loser.“
Sercan Sevindik will seine Schülerinnen und Schüler mit neuen Unterrichtsideen begeistern und ihnen zeigen, dass Bildung Spaß macht. „In Englisch und Deutsch haben wir Rap-Lyrics durchgenommen, so konnte ich sie motivieren“, sagt der Student. „Ich frage die Schülerinnen und Schüler immer zuerst: Was interessiert euch?“ Neben seiner Bachelorarbeit unterrichtete er im vergangenen Schuljahr fünfmal die Woche an verschiedenen Schulen.
Dass er selbst Migrationshintergrund hat, sei dabei ein großer Vorteil. „Die können mich nicht verarschen“, sagt er und lacht. Dass er nun Deutsch studiert, konnten viele erst nicht glauben. „Das ist sehr ungewöhnlich für jemanden mit türkischen Eltern“, sagt er. „Aber ich wollte beweisen, dass man alles schaffen kann, wenn man sich anstrengt.“
Das Förderprojekt SprInt gibt es seit 2005. Gemeinsam mit der Stiftung Mercator startete der Unterricht an 13 Schulen in Wedding. Seitdem stand SprInt schon mehrmals kurz vor dem finanziellen Aus. Seit 2016 wird das Projekt vom Land Berlin gefördert. Wer SprInt darüber hinaus unterstützen will, findet hier die Möglichkeit für Spenden. Weitere Infos über das Bildungsangebot gibt es hier.
Foto: Tayfun Akcay
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