Nachbarschaft
Veröffentlicht am 05.08.2020 von Julia Weiss

Klaus Friedrich lebt seit 1969 in Moabit und führt gemeinsam mit seiner Frau Regina das Lokal „Zum Stammtisch“. Seine Geschichte ist Teil der Ausstellung „Stadtgesichter“. Eine Initiative des „Kino für Moabit“ und der Kulturplattform NomadicArt. Von 7. bis 31. August werden elf Filminstallationen an unterschiedlichen Orten in Moabit und eine Ausstellung gezeigt. Im Mittelpunkt stehen 12 Filmporträts von Menschen aus dem Stadtteil im Alter von 60 bis 90 Jahren. Sie erinnern sich an ihr Leben und an Moabit, wie es früher einmal war. Organisiert wird die Veranstaltung unter anderen von Maren Dorner.
Die Idee zum Projekt kam den Kuratorinnen bei der Sichtung alter Filmaufnahmen von Moabit. Angefertigt hatte diese das Landesarchiv Berlin. Ab 1945 zogen Kamerateams los und filmten, was Ihnen vor die Linse kam. So entstanden Zeitzeugnisse. Das rohe Material, ungeschnitten und ohne Ton, wird bis heute aufgehoben. „Für uns ist das ein Schatz“, sagt Dorner. „Wir haben das Material unseren Interviewpartnern gezeigt und sie kommentieren lassen.“
Das Ergebnis sind zwölf Filme, die von den kleinen Beobachtungen des Alltags erzählen. Klaus Friedrich steht seit 50 Jahren in seiner Kneipe. Er erzählt, dass sich die Ehefrauen seiner meist männlichen Gäste oft beschwert hätten, dass ihre Gatten zu viel Geld in der Kneipe ließen. „Dann kommt und trinkt doch auch mal ein Bier“, hatte er ihnen damals gesagt. Er habe sich immer gewünscht, dass sich auch Frauen im Lokal willkommen fühlen. Mittlerweile ist ja aber sowieso alles anders. Neben den alten Stammkunden kommen auch junge Menschen zu ihm. Alte Kneipen wie seine sind hip geworden.
Jill Lee-Schuster kommt aus Südkorea und lebt seit 1975 in Moabit. Sie hat hier Karriere gemacht. Die Krankenschwester schaffte es auf die Universität und wurde später Unternehmensberaterin. Deshalb gehört sie zu den vermögenderen Moabiterinnen und ist immer sehr auf ihre Kleidung bedacht. Dass es mittlerweile so viele Billig-Läden in der Turmstraße gibt, gefällt ihr nicht. Da ist sie sich übrigens mit den anderen interviewten Frauen einig: Einkaufen hat hier früher mehr Spaß gemacht. Auch wer kein Geld hatte, guckte sich die hübschen Sachen gerne in den Schaufenstern an. Wegziehen will Jill Lee-Schuster trotzdem nicht. Ihr gefällt es hier. Und seit sie im Ruhestand ist, geht sie am liebsten im Tiergarten spazieren.
Ahmet Demir kommt aus der Türkei und lebt seit 1970 in Moabit. Sein Bruder führt hier ein Lebensmittelgeschäft. „Wir haben den Deutschen ja erst die Esskultur beigebracht“, sagt er. „Die wussten doch vorher gar nicht, was eine Wassermelone ist oder was man mit einer Aubergine macht.“ Er selbst arbeitete bei AEG. Nicht nur seines, sondern das Leben fast aller Protagonisten war von schwerer Arbeit geprägt. „Vom sonstigen Alltag oder Freizeitgestaltung in Moabit wussten die meisten gar nicht so viel“, sagt Maren Dorner. „Weil sie immerzu arbeiten mussten.“ Beschwert hätten sie sich darüber aber nicht.
- Zu sehen sind die Filmporträts ab 6 August. Ab 20 Uhr findet die Eröffnung mit Filmscreenings und Live-Musik an der Glasvitrine vor dem Rathaus Tiergarten (Mathilde-Jacob-Platz) statt.
- Weitere Ausstellungsorte sind das Rathaus Tiergarten, 2. OG (Mo. bis Fr. von 10 bis 17 Uhr ), die Arminiusmarkthalle, nahe dem Nordeingang (Mo. bis Sa. von 8 bis 22 Uhr), das Dosteli-Café, Emdener Straße 2 (Mo bis Fr von 8 bis 16 Uhr), der Fahrradladen velophil, Schaufenster an der Zinzendorfstraße (Mo. bis Fr. von 14 bis 19 Uhr, Sa. 10 bis 16 Uhr). Und ab 13. August das Lokal Zum Stammtisch, Bredowstraße 15 (Mi bis Mo, 15 bis 23 Uhr) und am 27. August die Galerie Nord, Turmstraße 75 (12 bis 19 Uhr).
- Trailer und Infos hier.
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