Nachbarschaft

Veröffentlicht am 02.09.2020 von Julia Weiss

Der Imker von der  Arminiusmarkthalle in Berlin-Moabit. Wer Ivo Schnipkoweits Bienen sehen will, muss mutig sein. Nicht wegen der Stiche. Wegen der Höhe! Der Imker steigt eine Leiter nach oben und stößt eine Luke auf. Er blickt auf die Straße runter, die plötzlich ganz weit weg ist, sieht Baumwipfel und umliegende Altbaufassaden. Vorsichtig setzt er einen Fuß vor den anderen, balanciert über eine Mauer und spingt auf ein schräges Dach. Hier oben auf der Arminiusmarkthalle in Moabit leben seine Bienen.

Für Stadtimker wie Ivo Schnipkoweit sind solche Plätze perfekt. Hier hat er viel Platz und seine Bienen sind gut versteckt. „Bienenstöcke werden oft gestohlen“, sagt er. Außerdem gebe es in Moabit viele verschiedene Bäume. „Akazien, Linden, Kastanien, Götterbaum, irgendetwas blüht immer. Das ist der Vorteil an der Stadt im Gegensatz zum Land, wo es oft nur noch Monokulturen gibt.“

Im Hauptberuf ist Schnipkoweit Grundschullehrer, aber schon seine Großmutter und sein Vater waren Imker. Als kleiner Junge lernte er viel von ihnen. Als dann vor zwei Jahren sein guter Freund Johannes Terwitte als Imker auf der Arminiusmarkthalle aufhörte, übernahm er dessen Platz. So richtig offiziell war das lange nicht. Ein Händler unten in der Markthalle hatte Terwitte einfach einen Schlüssel zum Dach gegeben. Als Schnipkoweit schließlich den Betreiber der Markthalle um Erlaubnis fragte, hatte der nichts dagegen.

Den Honig vom Dach gibt es nun unten im Hofladen und bei besonderen Anlässen wie im Advent oder beim Samstagsbrunch zu kaufen. Insgesamt kommt der Imker auf 200 Kilo Honig im Jahr. Das sei kein großes Business, sondern eher ein Hobby, sagt er.

Auf dem Dach bewegt sich der Imker vorsichtig und langsam. Am Bienenstock angekommen, öffnet er den Deckel, indem er einen flachen Meißel in die Ritzen schiebt. Die kleben die Bienen nämlich immer wieder zu. Sofort ertönt ein tausendfaches Summen. Die Insekten krabbeln durcheinander, bleiben dicht zusammen. Ivo Schnipkoweit mag dieses Gefühl, ihnen nah zu sein. Das gleichmäßige Gesumme und Gewusel beruhigt ihn. „Man hat schon eine besondere Beziehung zu den Bienen“, sagt er. „Sie erkennen auch meinen Geruch.“ Gestochen wird er natürlich trotzdem ab und zu. Daran habe er sich aber gewöhnt.

Circa 10.000 bis 15.000 Bienen wohnen momentan auf der Markthalle. „Im Sommer sind es viel mehr, so circa 33.000“, sagt Schnipkoweit. Die Insekten seien gerade damit beschäftigt, sich auf den Winter vorzubereiten und Futter dafür zu sammeln. In den kalten Monaten bleiben die Bienen dann sich selbst überlassen.

Bis es soweit ist, genießt der Imker die letzten Wochen auf dem Dach der Markthalle. Nach der Arbeit bleibt er oft noch ein wenig hier sitzen. Hinter den Baumwipfeln des gegenüberliegenden Parks geht gerade die Sonne unter. Die Ränder einer riesigen Wolke färben sich rosa. Für Schnipkoweit einer der schönsten Orte der Stadt. Und den hat er ganz für sich alleine. – Text: Julia Weiss

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