Nachbarschaft
Veröffentlicht am 07.10.2020 von Masha Slawinski

Dr. Sandy Neugebauer ist die Bereichsleitung Soziales & Gesundheit und stellvertretende Geschäftsführerin des Arbeiterwohlfahrt Kreisverbands Berlin-Mitte e.V. (AWO). Der Kreisverband ist Träger von über 40 Einrichtungen in ganz Berlin mit dem Schwerpunkt auf den Bezirk Mitte. Die AWO bietet soziale Dienstleistungen für Kinder, Jugendliche, Frauen, Menschen mit Behinderungen, Geflüchtete sowie ältere Menschen an.
Frau Doktor Neugebauer, ein Teilbereich von AWO ist die Kältehilfe. Was ist die Funktion der Kältehilfe? Die Kältehilfe ist das niedrigschwelligste Angebot für Menschen ohne Obdach im Rahmen der Wohnungsnotfallhilfe. Die AWO Berlin-Mitte führt bereits im vierten Jahr die Kältehilfe durch, diesmal an zwei Standorten mit insgesamt 60 Plätzen. Bei uns startet die Kältehilfesaison Ende Oktober bzw. Anfang November – je nach Standort. Das Besondere ist, dass sich das Angebot in der „Pumpe“ in Mitte auch in diesem Jahr ausschließlich an Frauen richtet. Das hängt unter anderem mit den Ergebnissen und daraus gezogenen Erkenntnissen der Nacht der Solidarität zusammen.
Um was für Erkenntnisse handelt es sich dabei? Bei der Auszählung hat sich gezeigt, dass der Anteil der Frauen, die auf der Straße angetroffen wurden, der etwa bei 14 bis 15 Prozent lag, relativ gering ist. Es wird ja hoch diskutiert, ob die Zählung mit knapp 2.000 gezählten Obdachlosen repräsentativ ist. Hierzu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Ich denke, dass sich aus der Zählung einige Schlussfolgerungen ziehen lassen. Frauen sind zum Beispiel eher mit Haustieren und Partner*innen unterwegs, daran versuchen wir unser Angebot der Kältehilfe an diese Gegebenheiten anzupassen, um so einen Schutzraum für sie zu errichten.
Warum brauchen Frauen einen gesonderten Schutzraum? Frauen sind eher Opfer von Gewaltsituationen, deswegen ist die Erkenntnis, dass sie öfter zu zweit oder mit Hund unterwegs sind auch wenig überraschend. Frauen sind außerdem eher wohnungslos als obdachlos. Wohnungslos bedeutet, dass man keinen Mietvertrag hat. Gerade wohnungslose Frauen kommen eher in prekären oder emotional abhängigen Wohnraum unter. Letztlich richtet sich unser Angebot auch ausschließlich an Frauen, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass die Kommunikation zwischen Frauen eine andere ist, wobei ich nicht sagen möchte, dass es in einer Fraueneinrichtung nicht auch zu Konflikten kommt.
Wie verändert sich Ihr Angebot dieses Jahr durch die Corona-Pandemie? An unserem Standort in Mitte, im Jugendkulturzentrum Pumpe, können wir dieses Jahr nur 20 statt 47 Plätze anbieten. Dafür werden wir uns bemühen an einem weiteren Standort in Charlottenburg 40 Kältehilfeplätze anzubieten. In Mitte erfolgt die Unterbringung der Frauen in Zweibettzimmern, so dass ausreichend Abstand gewährleistet werden kann.
Dürfen Nutzer*innen des Kältehilfeangebots in Ihrer Einrichtung Alkohol konsumieren? Bei uns wird kein Alkohol konsumiert, aber wenn Menschen, die offensichtlich betrunken sind zu uns kommen, ist das zulässig, solange sie keine Konflikte verursachen. Wir haben auch mit anderen Drogen zu tun, zum Beispiel mit hohen Medikamentendosen. Die Grundregel ist, dass nicht in der Einrichtung konsumiert werden darf, es gibt jetzt aber keinen Alkoholtest am Eingang.
Wie kann man die AWO unterstützen? Wir rufen jedes Jahr zu Spenden auf, mit denen Menschen die Kältehilfe unterstützen. Weiterhin ist natürlich eine positive Berichterstattung wichtig, was besonders zum Ende der Kältehilfesaison, durch die Nacht der Solidarität, stark der Fall war. Jeder kann bei der AWO Mitglied werden und durch die Mitgliedsbeiträge unsere soziale Arbeit unterstützen. Wir freuen uns zudem über Menschen, die sich bei uns engagieren wollen.
Foto: Uwe Faust
Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute@tagesspiegel.de
Dieser Beitrag stammt aus dem Tagesspiegel-Newsletter für Mitte. Die Newsletter für alle 12 Berliner Bezirke gibt es kostenlos und in voller Länge hier: leute.tagesspiegel.de
Hier die Themen aus dem aktuellen Mitte-Newsletter:
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- Hanna Steinmüller wurde zur Direktkandidatin der Grünen des Wahlkreis Mitte gewählt
- Die Zukunft der Uferhallen bleibt ungewiss
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- Interview mit Sandy Neugebauer über die AWO Kältehilfe
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