Nachbarschaft
Veröffentlicht am 20.01.2021 von Julia Weiss
Der ehemalige SPD-Bezirksstadtrat Bernd Schimmler hat ein Buch über die „Geschichte der Sozialdemokratie im roten Wedding“ geschrieben. Der damals eigenständige Bezirk war eine Arbeiterhochburg und politische Heimat für die Sozialdemokraten. Über Jahrzehnte regierte die SPD. Schimmler erzählt in seinem Buch von 100 Jahren Kommunalpolitik, beginnend in der Kaiserzeit bis zur Zeit nach dem Mauerbau. Schimmler selbst war von 1986 bis 2000 Stadtrat. Im Interview erzählt er, welche politische Themen damals wichtig waren und was der Politik heute aus seiner Sicht fehlt.
Herr Schimmler, wieso sind sie damals in die SPD eingetreten? Ich war 18 Jahre alt und Willy Brandt besuchte das AEG-Gelände in der Brunnenstraße im Wedding. Es war sein letzter Wahlkampfauftritt, bevor er Kanzler wurde. Die Art und Weise wie er mit den Menschen umgegangen ist, so nah und direkt, hat mir imponiert. Deshalb bin ich in die SPD eingetreten.
Von ihren damaligen Wahlerfolgen ist die SPD heute weit entfernt – wie konnte das passieren? Im Wedding sind die Ergebnisse immer noch ganz gut. Aber kein Vergleich, das stimmt. Der Wedding war ein Arbeiterbezirk. Die SPD war damals stark in der Gesellschaft verwurzelt. Es gab Gewerkschaften, Sport-, Gesangs- und Büchervereine. Das gesellschaftliche Leben war mit dem politischen verwoben. Die Partei hat den Menschen auch in der Freizeit etwas geboten.
Was hat sich seitdem verändert? Die Politiker sind nicht mehr so nah dran an den Menschen. Wenn damals die Kleingartenvereine um sechs Uhr morgen ein Pfingstkonzert gegeben haben, dann waren die Mandatsträger aller Parteien anwesend. Nur die von der CDU sind meistens später aufgestanden (lacht). Vor allem durch die Vereine entstand damals der enge Kontakt zu den Menschen. Deren Bedeutung hat heute nachgelassen.
Sie wurden 1986 Schulstadtrat und waren von 1992 bis 2000 Baustadtrat. Was waren damals wichtige Themen? Als Volksbildungsstadtrat ging es viel um Schulbau, wir hatten Platzmangel. Damals sollten die Klassen kleiner werden. Außerdem mussten die Kinder aus eingewanderten Familien besser integriert werden. Auch ältere Kinder sprachen kein Deutsch. Für sie haben wir Einführungsklassen eingerichtet. Als Baustadtrat ging es darum, zu sanieren und mehr Wohnungen zu schaffen. Themen, die auch heute wieder aktuell sind.
In ihrer aktiven Zeit war der Wedding noch ein eigenständig verwalteter Bezirk, war das nun besser oder schlechter? Man konnte sich besser auf sein Reich konzentrieren. Heute verliert man kleinere Bereiche in den Kiezen schneller aus dem Blick, weil die BVV sehr viele Themen zu bearbeiten hat.
Sie engagieren sich auch im Weddinger Heimatverein – was ist als nächstes geplant? Das Mitte Museum wird als Heimatmuseum ab April eine neue Dauerausstellung zeigen. Dabei wird es auch um die Industriegeschichte des Wedding gehen. Es werden alte Wohnungen nachgebaut und Schulklassen. Wir bieten als Verein Führungen im Wedding an und würden gerne noch mehr an Schulen gehen. Außerdem suchen wir mehr junge Menschen, die sich für den Wedding begeistern und bei uns mitmachen wollen.
- Bernd Schimmlers Buch „Zwischen Humboldthain und den Rehbergen. Die Geschichte der Sozialdemokratie im ‚roten Wedding‘ von Berlin“ ist in der Buchreihe „Wedding-Bücher“ erschienen. Weitere Infos über den Weddinger Heimatverein gibt es hier.
Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute@tagesspiegel.de