Nachbarschaft

Veröffentlicht am 27.01.2021 von Julia Weiss

Man muss schon genau hinsehen, um den Wert der Häuser in der Schwedter Straße 247 und 248 zu erkennen. Die Fassaden sind grau und schmucklos. Doch es handelt sich um Gebäude aus der Gründerzeit – der klassische Berliner Altbau mit großen Räumen und hohen Decken. Viele davon wurden im Krieg zerbombt oder danach abgerissen. Um Platz zu machen für breite Straßen in der autogerechten Stadt. Heute sind solche Häuser beliebt, trotzdem droht eine neue Abrisswelle.

„Steigende Grundstückspreise gefährden gründerzeitlich Häuser“, sagt Peter Dobrick vom Verein Stadtbild Deutschland. „Neubauten mit niedrigeren Räumen und mehr Geschossen lohnen sich für die Eigentümer oft mehr.“ Er schätzt, dass in Berlin jährlich zehn bis 20 Häuser aus der Gründerzeit abgerissen werden. In Mitte droht das aktuell vier Gebäuden in der Schwedter Straße und der Kastanienallee. Der Verein Stadtbild Deutschland hat deswegen einen offenen Brief an Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) geschrieben, in dem er die Erhaltung fordert.

Das Problem: Die Häuser in Mitte sind nicht denkmalgeschützt. „Die Häuser stehen leer und wurden jahrzehntelang vernachlässigt“, sagt Dobrick. „Nach dem Ersten Weltkrieg war die Bauepoche nicht mehr angesehen. Stuck wurde als unnütze Dekoration empfunden und abgeschlagen. Das ging bis in die 70 Jahre.“ Im progressiven Berlin, in dem das konservative, bewahrende Bürgertum weniger stark vertreten war, sei besonders exzessiv entstuckt worden.

Für die Grundstücke in Mitte wurde nun ein Bauantrag für den „Neubau von zwei Wohngebäuden (…) mit einer Tiefgarage mit 16 Pkw-Stellplätzen auf vier Grundstücken“ gestellt. Die Häuser befinden sich in einer beliebten Wohngegend zwischen Torstraße und S-Bahnring im Bezirk Mitte. Viele andere gründerzeitliche Häuser in der Nachbarschaft wurden laut Dobrick aufwendig saniert. Von der schicken Umgebung würden dann wiederum die Vermieter von Neubauwohnungen profitieren. „Neubauten innerhalb weitgehend intakter gründerzeitlicher Quartiere lassen sich hochpreisig vermarkten“, sagt Dobrick.

Der Verein Stadtbild Deutschland will sich nun dafür einsetzen, dass Mitte und auch andere Bezirke Erhaltungsverordnungen erlassen und gründerzeitliche Häuser besser schützen. Im offenen Brief an von Dassel schreiben sie: „Wenn es keinen Schutz solcher Altbauten durch Erhaltungsverordnungen oder Denkmalrecht gibt, wird es zu immer weiteren Verlusten dieser Art kommen und das historische Straßenbild der gründerzeitlichen Quartiere, die Krieg und Jahrzehnte des Verfalls überstanden haben, Stück für Stück verschwinden.“

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