Nachbarschaft

Veröffentlicht am 24.03.2021 von Julia Weiss

Was haben eine Flamenco-Tänzerin, ein Jazz-Trio und ein Kabarettist gemeinsam? Sie treten im Schaufenster eines Optikers in Moabit auf. Seit Beginn des zweiten Lockdowns hat sich die Auslage von Spree Optik in der Krefelderstraße in Berlin-Mitte in eine Kleinkunstbühne verwandelt. Das Publikum steht vor der Glasscheibe. Der Ton kommt aus Lautsprechern vor dem Laden. Ein corona-konformes Theater auf dem Gehweg.

Die Künstler:innen wechseln sich ab. Sie erzählen Witze, singen, rappen, schauspielern. Genregrenzen gibt es hier nicht. Das war dem Erfinder des „Showfensters“ wichtig. Gerd Normann ist gelernter Optiker, im Herzen und auf der Bühne aber Kabarettist. „Ich wollte, dass Künstler:innen wieder auftreten können“, sagt er. Deshalb fragte er seine Chefin zu Beginn des zweiten Lockdowns im November, ob er den Laden dafür nutzen könne. Sie sagte sofort zu und auch das Bezirksamt Mitte genehmigte die ungewöhnliche Kleinkunstbühne.

Menschen spazieren vorbei, bleiben stehen. Im Schaufenster steht ein Mann mit einer Perücke und macht sich über seine Nachbarn lustig, die zu laut Sex haben. Der junge Mann habe doch sicher einen Namen, dann müsse die Frau doch nicht den Allmächtigen anflehen. Das Publikum lacht. „Die Leute sind sehr dankbar“, sagt Normann. Theater, Kabarett – wie lange konnten sie das schon nicht mehr sehen.

Die Vorführung dauert zwei Stunden. Sie beginnt, sobald zehn Euro im Hut sind. Die Höhe der Spenden ist dabei sehr unterschiedlich, manche schmeißen einen Euro in den Topf, andere 50. Obwohl die Künstler:innen daran kaum verdienen, sei das Interesse an den Auftritten groß, sagt Normann. Er betreibt seine eigene Künstleragentur Entenfuß-Kultur. Mittlerweile rufen ihn oft Menschen an, um auftreten zu können.

Das „Showfenster“ expandiert. Von der Idee inspiriert haben Künstler:innen aus Wien im Februar ein weiteres Theaterfenster in der österreichischen Hauptstadt eröffnet. Und in Berlin habe bereits ein zweiter Optiker Interesse angemeldet, sagt Normann. Außerdem startet im April das mobile „Showfenster“. Wenn es die Pandemie zulässt, werden Normann und die anderen Künstler:innen damit alle zwei Wochen neben dem Cafe Nola’s im Weinbergspark auftreten. ( – Foto: Ingrid Müller)

  • Gerd Normann ist noch auf der Suche nach Sponsoren, damit er den Künstler:innen zukünftig richtige Gagen zahlen kann. Interessierte können sich hier melden. Auf der Website finden Sie das Programm des „Showfensters“.

 

+++ Dieser Beitrag stammt aus dem Mitte-Newsletter. Jeden Mittwoch neu und kostenlos per Mail erhalten, Anmeldung hier: leute.tagesspiegel.de

+++ Weitere Nachrichten der Woche: