Nachbarschaft
Veröffentlicht am 05.05.2021 von Anima Mueller

Christian Unger ist Sprecher der Kiezblock-Initiative „Alte Jakob“. Im Interview erklärt er, wie das Gebiet um die Alte Jakobstraße in Mitte von zu viel Verkehr befreit und in ein lebendiges Kiezzentrum verwandelt werden könnte.
Herr Unger, im Kiez um die Alte Jakobstraße gibt es viel Durchfahrtsverkehr. In welchen Ecken ist die Belastung besonders schlimm? In den letzten zehn Jahren hat sich die Situation hier stark verändert, denn es ist erfreulicherweise viel gebaut worden. Damit sind hier auch deutlich mehr Menschen unterwegs. Im südlichen Bereich unseres Kiezes sind die Straßen bereits recht ruhig, dort wurde in den letzten Jahren schon viel zur Verkehrszähmung beigetragen. Aber die Kommandantenstraße entlang der Bundesdruckerei, die Seydelstraße und insbesondere die Alte Jakobstraße sind richtig belastete Durchfahrtsstraßen geworden. Ursache ist im Wesentlichen, dass sich viele Fahrer nicht über die große Leipziger Straße quälen wollen, auf der zu Stoßzeiten immer Stau ist.
Wenn Ihre Initiative Erfolg hat, kommt man mit dem Auto dann gar nicht mehr durch? Der Kiez wird auch zukünftig erreichbar bleiben für alle, die hierher wollen. Aber der reine Durchgangsverkehr muss auf den Hauptstraßen bleiben. Wir bilden im Kiez dazu Bereiche, und der Verkehr kommt nur da wieder heraus, wo er hineingekommen ist. Das unterbindet den Durchgangsverkehr sehr effektiv und ist mit Modalfiltern, also Pollern oder Blumenkübeln, zügig umzusetzen. Dazu gibt es auch bereits erste Vorschläge, wo diese entstehen könnten. Außerdem wollen wir entlang der Alten Jakobstraße eine Verkehrsberuhigung. Die Straße liegt sehr zentral im Kiezgebiet und schon heute sind Supermärkte, Gewerbeflächen und viele Einzelhändler dort. So könnte eine Art Kiezzentrum entstehen, wo es Cafés gibt und Menschen sich gerne aufhalten.
Was motiviert Sie, sich für Kiezblocks einzusetzen? Ich bin Berliner und auch viel mit dem Auto in der Stadt unterwegs gewesen. Zunehmend fiel mir aber auf: Immer mehr Autos führen zu immer weniger Mobilität. Und da habe ich mich gefragt: Kann ich es mir eigentlich ohne Auto vorstellen? Im Selbstversuch habe ich dann festgestellt, dass die Wege in der Innenstadt ohne Auto eigentlich viel zügiger und entspannter zurückzulegen sind. Das war der Anstoß und heute nutze ich ganz überwiegend das Fahrrad. Ziel der Kiezblocks-Idee, die inzwischen an vielen Stellen unserer Stadt aufgegriffen wird, ist es ja, lebenswerte Kieze durch weniger Verkehr zu schaffen, und da habe ich dann bei mir selbst angefangen.
Welche Schritte plant die Initiative als nächstes? Wir beschäftigen uns aktuell damit, ein verkehrlich stimmiges Konzept zu entwickeln. Der nächste Schritt ist dann, breiter zu werben und an die Öffentlichkeit zu gehen, um gemeinsam mit den Anwohner*innen die Vorstellungen und Wünsche zum zukünftigen Kiez weiter zu entwickeln. Erfreulicherweise gibt es in Mitte bereits einige Kiezblock-Initiativen, aber vielen Menschen ist das noch gar nicht bewusst, wie wir in Gesprächen gemerkt haben. Insgesamt können wir aber feststellen: Das Thema bekommt im Moment Aufmerksamkeit, weil es in die richtige Richtung geht und von den Allermeisten befürwortet wird.
Manche Menschen sorgen sich vor Gentrifizierung, wenn ihr Kiez plötzlich „aufgehübscht“ wird. Die Angst kann ich grundsätzlich nachvollziehen. Wenn ich in einem Kiez wohne, in dem es schön ruhig und grün wird, dann erhöht das die Attraktivität. Aber eigentlich ist das ja ein toller Effekt. Die Sorge resultiert meiner Meinung nach eher daraus, dass es viel zu wenige solcher Kieze gibt. Wenn Kiezblocks in Berlin flächendeckend entstehen, gibt es diese Knappheit nicht mehr. Ich tu mich schwer mit dem Gedanken: Wir wollen den Verkehr Tag und Nacht durch die Kieze donnern lassen, damit die Wohnungen billig bleiben. Wir brauchen daher die Verkehrswende. Die wird sich aber nicht im Großen vollziehen, sondern mit vielen kleinen Initiativen, die dafür sorgen, dass in den Köpfen eine Veränderung stattfindet. – Foto: Christian Unger
Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute@tagesspiegel.de
+++ Diesen Text haben wir dem neuen Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Mitte entnommen. Den gibt es in voller Länge und kostenlos hier: leute.tagesspiegel.de
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