Nachbarschaft

Veröffentlicht am 29.09.2021 von Julia Weiss

June Tomiak (24) hat es nicht mehr ins Berliner Abgeordnetenhaus geschafft. 2016 war sie im Alter von 19 Jahren als jüngste Abgeordnete ins Landesparlament eingezogen und danach Sprecherin für Verfassungsschutz und Jugend ihrer Fraktion. Fünf Jahre später weiß sie, dass es junge Menschen in der Politik nicht leicht haben. Im Interview erzählt sie, wieso es diesmal nicht gereicht hat und welche Folgen das für ihre Arbeit im Gesundbrunnen hat.

Sie sind aus dem Abgeordnetenhaus geflogen – was ist passiert? Wir Grünen haben bei dieser Wahl sehr viele Direktmandate geholt. Das hat zur Folge, dass weniger über die Liste ins Abgeordnetenhaus kommen. Ich habe den Einzug um nur zwei Listenplätze verpasst. Das ist bitter und stellt mich vor Schwierigkeiten: Soll ich mein Büro auflösen, was passiert mit den Mitarbeiter:innen? Es könnte sein, dass ich als Nachrückerin doch noch reinkomme.

Sie wollten in Ihrem Heimatkiez als Direktkandidatin antreten, wurden aber von ihrer Partei dazu gedrängt, sich zurückzuziehen. Wieso konnte Sie sich nicht durchsetzen? Als Grüne Jugend haben wir in Mitte nicht so viel Unterstützung bekommen, wie wir es uns von unserer Partei gewünscht hätten. Ich bin aber im Gesundbrunnen aufgewachsen und im Soldiner Kiez verwurzelt. Deshalb werde ich mich auch weiterhin hier politisch engagieren.

Nehmen Sie das Ihrer Partei übel? Ich habe einen guten Listenplatz bekommen. Dass es damit nicht gereicht hat, hat uns alle überrascht.

Fühlten sie sich als 19-jährige Abgeordnete im Parlament ernst genommen? Es gab Startschwierigkeiten. Abgeordnete von anderen Parteien hielten mich anfangs für eine Praktikantin. Ich konnte mit meiner fachlichen Arbeit überzeugen und mir einen Namen machen. Aber grundsätzlich ist es schon so, dass jungen Menschen in unserer Gesellschaft abgesprochen wird, dass sie eine eigene Meinung haben und schon kompetent genug sind. Das merkt man auch in den Parlamenten.

Welche Folgen hat das? Junge Menschen kommen nicht gegen diese alten Strukturen an. Das macht sie wütend oder sie resignieren. Junge Wähler:innen können sich gegen die alten nicht durchsetzen, weil sie einfach zu wenige sind. Dadurch werden ihre Themen politisch ignoriert. Gleichzeit muss meine Generation sehr viel leisten. Das beste Beispiel ist die Pandemie. Jugendliche mussten lange Rücksicht nehmen und als die Alten dann durchgeimpft waren, waren die Bedürfnisse der Jugend plötzlich nicht mehr wichtig. Die Solidarität scheint einseitig.

Wie lässt sich das ändern? Das Wahlalter ab 16 Jahren ist längst überfällig. In den Parteien muss man sich sehr lange verdient machen. Ältere Politiker:innen trauen den jungen oft zu wenig zu. Bei den Grünen hat sich hier schon viel geändert. Zudem gibt es für die Liste schon lange eine Neuen-Quote, sodass ein Teil von neuen Kandidierenden besetzt werden muss. Aber auch für sie ist es nicht immer leicht. Es gibt unter jungen Menschen eine hohe Bereitschaft mitzugestalten, man muss sie nur lassen. – Foto: Ben Gross

  • Im neuen Landesparlament sind fünf Abgeordnete jünger als 30. Vier kommen von den Grünen, einer von der Linken. Bei SPD, CDU, FDP und Linke sind alle älter.
  • Männlich, Mitte 40, aus dem Westen? Am Dienstag wurde bekannt gegeben, wer ins Berliner Landesparlament einzieht. Es gibt viele neue Gesichter. Doch einiges bleibt auch beim Alten. So divers ist das neue Abgeordnetenhaus – oder auch nicht. (T+)