Nachbarschaft

Veröffentlicht am 07.09.2022 von Pauline Faust

Sie sind jung, sie sind migrantisch und sie möchten gehört werden. Die Junge Islam Konferenz bringt junge Menschen mit Migrationshintergrund zusammen. Was als Austausch muslimscher Jugend angefangen hat, ist ein Forum für verschiedene marginalisierte Gruppen in Deutschland geworden. In einer Medienakademie bemühen sich die Teilnehmer:innen mit Unterstützung von Profis ihre Themen an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Junge Islam Konferenz ist ein Projekt der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa mit Sitz in Mitte. Im Newsletter berichten zwei Mitglieder, was sie bewegt.

Atahan Demirel (30) ist freier Journalist. Seit drei Jahren ist der Friedrichshainer bei der Jungen Islam Konferenz Mitglied. Hier habe er eine Gemeinschaft gefunden, einen safe space, in dem er weder wegen seiner Religion noch seiner Queerness diskriminiert wird. Kürzlich veröffentlichte er auch einen Artikel im Tagesspiegel, den Sie online mit Tagesspiegel Plus nachlesen können.

Warum nimmst du an den Projekten der Jungen Islam Konferenz teil? Ich möchte die Medienlandschaft mitgestalten, um einen inklusiveren Journalismus herbeizuführen. Ich bringe eine neue Perspektive als muslimische und muslimisch gelesene Person ein. Mir ist wichtig, dass nicht nur über, sondern auch von Muslimen berichtet wird. Damit auch ihre Belange wahrhaftig aufgegriffen werden.

Wie ist das in deinem muslimischen Umfeld, konsumieren die Leute deutschsprachige Medien? Manche machen das. Ich kenne auch Leute, die sich eher von anderen Medien angesprochen fühlen. Ich denke, wenn sie sehen, dass da auch „einer wie sie“ berichtet und über Themen, die sie betreffen, steigert das ihr Interesse. Als queere muslimische Person hat mir selbst eine Identifikationsfigur gefehlt.

Was bedeutet es für dich, muslimisch zu leben? Es ist für mich hauptsächlich eine Identität, damit bin ich aufgewachsen. Es ist ein Teil von mir, den ich nicht aufgeben und nicht unterdrücken lassen möchte.

Wo findet dein religiöses Leben statt? Hauptsächlich zu Hause, weil ich mich in vielen Moscheen unwohl fühle, da es auch Queerfeindlichkeit in muslimischen Kreisen gibt. Natürlich nicht in allen und es gibt auch sichere Orte in muslimischen Kreisen.

Das erinnert mich an eine aktuelle Debatte. Beim CSD Münster schlug ein Mann einen trans Mann. Malte, so hieß er, starb später deshalb. Als bekannt wurde, dass der Täter arabische Wurzeln hatte, gab es viele rassistische Äußerungen. Der Vorfall ist sehr sehr schrecklich. Das hat auch dazu geführt, dass ich mich bei queeren Veranstaltungen nicht mehr so sicher fühle. Man muss trotzdem immer wieder sagen, dass nicht jede muslimische Person, queerfeindlich ist. Rechtsextreme bedienen dieses Narrativ gerne und wir müssen uns dagegenstellen.

Was ist deine Botschaft an andere muslimisch gläubige Menschen? Ich fände es gut, wenn wir uns noch mehr an der Gesellschaft beteiligen. Auch um die Vielfalt im Islam zu zeigen. Dafür muss aber auch gegen Rassismus vorgegangen werden, damit wir das können.

Und was ist deine Botschaft an Menschen, die Vorbehalte gegen „den Islam“ haben? Wir sind in einer vielfältigen Gesellschaft, da sollten wir uns mit Respekt begegnen. Es gibt nicht nur diesen einen Islam, sondern viele Perspektiven.

Jess Mukeba (20) ist freiberuflicher Schauspieler und studiert in Freiburg Philosophie und Politikwissenschaft. Im Rahmen der Medienakademie hat er die Regisseurin Maissa Lihedheb interviewt. Sein Interview ist bald auch in einem Medienhaus zu lesen sein.

Du selbst bist Schauspieler, was war der Anlass für dich, mit jemanden hinter der Kamera zu sprechen? Dort werden viele langfristige Entscheidungen getroffen werden, sei es beim Casting oder Drehbuch. Wenn wir mehr Vielfalt vor der Kamera haben und authentische Geschichten erzählen wollen, müssen wir dort ansetzten. Die Strukturen sind jedoch sehr festgefahren, was den Zugang für marginalisierte Gruppen erschwert. Das hat Lihedheb auch erfahren: In Deutschland wurde sie an allen Regieschulen abgelehnt, erst in den USA konnte sie an der NYU und AFI lernen.

Ist es für migrantische Personen dort einfacher? Lihedheb berichtete mir, in den USA gibt es mehr Möglichkeiten, da kann eine Amateurregisseurin auch proaktiv einen Film einschicken. In Deutschland muss man quasi auf einer Regieschule gewesen sein, um Fördermittel und einen Zugang zu den großen Produktionen zu erhalten.

Kennst du auch vorbildliche Initiativen aus Deutschland? Die Castingdirektorin Lisa Stutzky leistet ganz wichtige Arbeit für unsere Community. Sie organisiert Streetcastings, fragt Vereine und Ortsgruppen an, um Menschen zu casten, die sonst nicht den Zugang zur Medienwelt/Schauspielagenturen haben. Das ist ein zusätzlicher Aufwand, für den sie nicht bezahlt wird, der aber entscheidend ist.

Hast du selbst schon Erfahrung mit Typecasting gemacht, also dass dir wegen deinem Aussehen nur bestimmte Rollen zur Verfügung stehen? Ich habe noch nicht den Luxus, mir momentan die Rollen auszusuchen. Es gibt leider nur ein sehr kleines Rollenangebot für uns BPOC-Personen. Besonders im Werbebereich ist das Typecasting extrem. Die müssen in wenigen Sekunden eine klare Message rüberbringen. Gleichzeitig wird vorweggenommen, wer als Deutsch und Nicht-Deutsch angesehen wird, allein durch das Erscheinungsbild.

Was war für dich Anlass, bei der Medienakademie mitzumachen? Man spricht ständig über Marginalisierte, aber gibt ihnen weniger Plattformen. Ein Viertel der Menschen in Deutschland hat einen Migrationshintergrund, das muss auch in unseren Medien ankommen.

Was nimmst du inhaltlich aus dem Austausch mit dem anderen Teilnehmer:innen mit? Ganz am Anfang wurde uns die Frage gestellt: Was bedeutet Zusammenleben für euch? Ich habe davor an einzelne Gruppen gedacht, die jede für sich zusammenleben. Jetzt denke ich da mehr an den Austausch: Man lebt auch zusammen, wenn man verschiedenen Gruppen angehört. Deutschland ist ein Einwanderungsland, das Zusammenleben kann sich also niemand aussuchen. Es geht darum, es gut zu gestalten und jedem die gleichen Chancen zu geben.

Was ist deine Botschaft an andere BPoC (black and people of color)? Wir können nicht darauf warten, dass uns jemand die Tür öffnet. Wir dürfen auch selbst Räume einnehmen – nutzt jede Chance, die sich euch ergibt. Durch Kollektivarbeit und Netzwerke wie die Medienakademie können wir zudem lauter sein, damit unsere Perspektiven in der Öffentlichkeit Platz finden.

  • Foto links von Jess Mukeba: Laurent Hoffmann/Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa
  • Foto rechts von Atahan Demirel: Khaled Al Saadi