Nachbarschaft
Veröffentlicht am 29.11.2023 von Julia Weiss
Jian Omar sitzt für die Grünen im Abgeordnetenhaus und wurde in den vergangenen Wochen mehrmals rassistisch angegriffen. Er kam 2005 aus Syrien nach Berlin. Seine Fluchterfahrung und sein Engagement für eine offene Migrationspolitik mache ihn zur Zielscheibe, sagt er. Im Interview spricht er über Hass gegen Grüne und die Sicherheitsvorkehrungen in seinem Büro in Moabit.
Herr Omar, Sie wurden mit einem Hammer bedroht, ihr Büro wurde mit Kot beschmiert. Wie gehen Sie damit um?
Das war tatsächlich etwas, das mich schockiert hat, obwohl ich schon im Wahlkampf 2021 und zur Wiederholungswahl öfter an den Wahlkampfständen angegriffen wurde. Sowohl von Coronaleugnern 2021 als auch von Rechtsradikalen, wegen unserer Unterstützung für die Ukraine, waren wir heftigen Angriffen ausgesetzt, aber dass mein Büro mit einem Hammer angegriffen wird und ich damit bedroht werde, war für mich eine neue Qualität dieser Gewalt und Aggression.
Wie liefen die Angriffe auf ihr Büro ab?
Am 30. Oktober hat eine Frau zum ersten Mal mit einem Hammer auf die Scheibe meines Wahlkreisbüros geschlagen, zehn Tage später am 10. November kam dieselbe Frau, sie ist aus der Nachbarschaft, kurz vor dem Feierabend, meine Mitarbeiter:innen und ich saßen im Büro, es war schon dunkel. Sie hat wieder auf die Scheibe geschlagen, so richtig gehämmert. Wir waren geschockt, dachten, die Scheibe wird auf uns fallen. Dann bin ich raus und hab sie zur Rede gestellt. Sie ist stehengeblieben und hat in meine Richtung mit dem Hammer gedroht und gesagt: „Scheiß Grüner und auch noch ein Scheiß Ausländer, Leute wie sie hat man früher in Gaskammern gesteckt.“
Wie haben Sie reagiert?
Ich habe mein Handy genommen und die Polizei angerufen. In der Zeit hat sie immer wieder wiederholt, was sie sagte. Als die das wiederholt hat mit der Kammer, kam eine Passantin und war so empört, dass sie gesagt hat: Jetzt reicht es, ich werde jetzt hierbleiben, bis die Polizei kommt und eine Aussage machen. Wir sind ihr dann zu zweit hinterhergelaufen, bis zur Bushaltestelle, bis die Polizei ihre Personalien aufgenommen hat und ich Anzeige erstattete. Mittlerweile ermittelt der Staatsschutz.
Wie schützen Sie sich vor weiteren Angriffen?
Im Büro haben wir Maßnahmen getroffen. Wir achten darauf, dass wir immer mindestens zu zweit sind. Mittlerweile sind wir so traumatisiert, sobald sich draußen etwas ereignet, schauen wir direkt, ob da jemand ist, der reinhämmert oder etwas hereinfliegt. Und wir haben unsere Öffnungszeiten geändert. Sobald es dunkel wird, schließen wir das Büro. Sonst war unsere Sprechstunde bis 18 Uhr. Jetzt, weil es im Winter früher dunkel wird, schließen wir das Büro gegen 17.
Die Angriffe gehen nicht nur von einer Person aus. Sie erhalten auch immer wieder Hassnachrichten.
Die Zahl der Hassnachrichten hat zugenommen, nachdem ich die Angriffe öffentlich gemacht habe. Das ist auch oft Thema bei uns im Parlament. Abgeordnete berichten, dass sie ähnliche Vorfälle erleben, aber sie nicht veröffentlichen, weil dann rechte Hetzer:innen auf den Zug aufspringen. Ich habe Kommentare und Nachrichten gelesen, in denen stand: „Schade, dass sie mit dem Hammer nicht getroffen hat.“ „Das nächste Mal wird es bestimmt klappen.“ „Sie haben es nicht verdient, im Parlament zu sitzen, sie sind kein Deutscher.“ Am 17. Oktober bekam ich einen Brief, handschriftlich geschrieben, wirres Zeug, da wurden politisch motivierte Morde aufgezählt, die nicht aufgeklärt sind. Das war eine Morddrohung. Das LKA ist dabei, das zu prüfen.
Die politische Stimmung im Land ist derzeit aufgeheizt. Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?
Seit der Wiederholungswahl in Berlin erleben wir eine Zuspitzung der Debatten, über die Silvesterkrawalle in Berlin, die Zunahme der Geflüchteten, sowohl aus der Ukraine als auch aus anderen Ländern. Dazu die Sorgen über die Inflation. Die Schärfe des Tons hat massiv zugenommen. Diese aufgeheizte Stimmung merke ich leider bei meiner Arbeit. Dann heißt es nicht: Ihr Grünen seid gegen das Auto oder eure Verkehrspolitik finden wir nicht in Ordnung. Sondern: Ihr zerstört unser Land. Und dann wird direkt gedroht. Das ist nicht mehr vereinzelt, sondern wirklich systematisch.
Grüne sind vor Politikern der AfD am häufigsten Ziel von Angriffen. Wieso ist der Hass auf Grüne so groß?
Wir haben es von allen Seiten mit Anfeindungen zu tun: Sahra Wagenknecht sagt „Die Grünen sind die gefährlichste Partei in Deutschland“ und Friedrich Merz sagt „Die Grünen sind die Hauptgegner“. In einer Zeit mit steigender Inflation, wo Krieg in Europa ist und die Grünen in der Bundesregierung sind, sagen einige, die Grünen sind für alles verantwortlich, dafür dass die Energiepreise steigen, dass Wirtschaft und Industrie geschwächt sind. Sie vergessen dabei die Post-Corona-Folgen, Krieg und Inflation. Es ist eine vereinfachte Antwort auf komplexe Probleme und dann werden wir zu Hass-Objekten. Mich trifft das doppelt, weil ich ein Grüner bin, der auch noch Omar heißt und für eine humanitäre Migrationspolitik steht. Dann werde ich zur Zielscheibe.
Wie kann oder sollte die Politik darauf reagieren?
Alle demokratischen Parteien sollten Antisemitismus und Rassismus entschieden gemeinsam bekämpfen. Bei allen Meinungsverschiedenheiten dürfen wir nicht zulassen, dass Hass und Hetze zur Normalität werden. Die Feinde der Demokratie sitzen mittlerweile in allen Parlamenten. Sie sind so stark wie noch nie. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieser Menschenhass, diese Fremdenfeindlichkeit Alltag wird. Davon würden wir alle profitieren.
- Foto: Evren Özgüvenc