Intro
von Madlen Haarbach
Veröffentlicht am 22.01.2020
In diesem Jahr jährt sich nicht nur das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 75. Mal – sondern auch die Befreiung der Konzentrationslager. Am 27. Januar, dem internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts, sind 75 Jahre seit der Befreiuung des Konzentrationslagers Ausschwitz vergangen. Überall in Berlin finden an diesem Tag Gedenkveranstaltungen statt.
In Berlin-Neukölln gibt es viele kleine Orte, an denen Sie vielleicht regelmäßig vorbeikommen – die aber düstere Spuren der Geschichte in sich tragen. Wer etwa durch die Hufeisensiedlung spaziert, wird viele Stolpersteine entdecken – die daran erinnern, dass die Siedlung einst vielen Kommunist*innen und Gewerkschaftler*innen eine Heimat bot. Genau hier wurde das Gedenken auch beschmutzt, als in der Nacht vom 5. zum 6. November unter anderem hier insgesamt neun Stolpersteine entwendet wurden. Mittlerweile wurden alle wieder ersetzt, neue kamen hinzu.
In der Sonnenallee erinnert eine Lichtprojektion an das Zwangsarbeiterinnenlager und die spätere Außenstelle des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Das KZ umfasste die gesamte Fläche, die heute von der Sportanlage des BSV Hürtürkel und der angrenzenden Kleingartenkolonie eingenommen wird. 1942 wurde richteten die Nazis das Arbeitslager ein, 1944 wurde es zum KZ umgewandelt. Rund 500 Jüdinnen wurden 1944 aus Ausschwitz hierher transportiert. Die KZ-Häftlinge mussten Zwangsarbeit für die SS und die Rüstungsindustrie, speziell die Firma Krupp, leisten.
Weitere Informationen zu dem Lager gibt es etwa bei den Kolleg*innen vom neukoellner.net oder bei der App „Satellite Camps“ der Initiative KZ Außenlager Lichterfelde, die Informationen zur Geschichte der KZ-Außenlager in Berlin zusammengetragen hat. Die App enthält unter anderem Ausschnitte aus Erinnerungsberichten von zwei Zeitzeuginnen, die über die Bedingungen im Außenlager Neukölln und bei der Zwangsarbeit für Krupp berichten. Die App gibt es für Android und IOS.
Unserem Leser Rudolf Rogler wurde schon vor fast 50 Jahren erzählt, dass sich auf dem Gelände vor der Schule am Britzer Damm 164, gegenüber dem Dorfteich, ein Massengrab befinde. Nachgeforscht habe er allerdings nicht. Wenn Sie Informationen hierzu haben, können Sie sich gerne bei uns per E-Mail melden.
An der Oderstraße befindet sich nicht nur der Werner-Seelenbinder-Sportpark, sondern auch ein Ehrengrab für den Sportler. 1945 wurde das Stadion nach Seelenbinder benannt: Der mehrfache deutsche Ringer-Meister und Olympiateilnehmer 1936 hatte jahrelang in Neukölln trainiert. 1944 wurde er im Zuchthaus Brandenburg-Görden von den Nazis hingerichtet, weil er Kontakte zu der kommunistischen Widerstandsgruppe rund um Robert Uhrig und Alfred Kowalke pflegte.
Im Volkspark Hasenheide erinnert eine Skulptur an die Leistungen der Berliner Trümmerfrauen. Die Figur der Bildhauerin Katharina Szelinski-Singer wurde 1955 aufgestellt. Aus den Trümmern des zweiten Weltkrieges entstand unter anderem die sogenannte Rixdorfer Höhe in der Hasenheide. Sie wurde aus rund 700.000 Kubikmetern Schutt aufgeschichtet und 1954 als Erholungsstätte eingeweiht.
Außerdem gibt es im Bezirk unzählige Gedenktafeln – etwa für die 1907 erbaute Synagoge des 1896 gegründeten „Israelitischen Brüder-Vereins zu Rixdorf“ in der Isarstraße. Diese wurde während des Pogroms gegen die jüdische Bevölkerung am 9. November 1938 zerstört. Die Tafel erinnert auch an Georg Kantorowsky, der zwischen 1917 und 1938 – bis zur Zerstörung der Synagoge – Rabbiner in Neukölln war. Er emigrierte 1940 nach Shanghai und verstarb am 30. August 1972 in San Francisco.
Eine virtuelle Gedenkstätte finden Sie auf mappingthelives.org: Der Hobby-Historiker Roderick Miller rekonstruierte die Geschichten von Nazi-Opfern aus der ganzen Stadt und dokumentiert sie auf der virtuellen Karte. Damit können Sie die Straßen ablaufen und sehen, wer in welchem Haus gelebt, geliebt, gelacht hat – und vertrieben oder getötet wurde. Mehr dazu lesen Sie auf tagesspiegel.de.
Wenn Sie weitere Hinweise zu kleinen und großen Gedenkorten in Neukölln haben, melden Sie sich auch weiterhin gerne per E-Mail. Zum 75. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung erscheint eine Sonderbeilage in der Tagesspiegel-Ausgabe vom 26. Januar. Auch in Neukölln findet am kommenden Montag eine zentrale Gedenkveranstaltung im Rathaus statt – mehr lesen Sie in der Rubrik „Termine“ im Neukölln-Newsletter. – Text: Madlen Haarbach
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Dieser Text ist zuerst im Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Neukölln erschienen. Den gibt es kompakt, kostenlos und in voller Länge hier: leute.tagesspiegel.de
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Madlen Haarbach ist freie Autorin beim Tagesspiegel. Sie freut sich über Kritik, Anregungen und Tipps bei Twitter oder per E-Mail.