Intro
von Madlen Haarbach
Veröffentlicht am 19.02.2020
drei statt zwei Tatverdächtige, 500 statt 30 ausgespähte Politiker*innen, Journalist*innen, Anwält*innen, Polizist*innen und Engagierte, 72 statt 63 Straftaten, keine Indizien für ein Leck innerhalb der Polizei, keine Indizien für Verbindungen zu Anschlägen wie jenem auf den CDU-Politiker Walter Lübcke und ein Bekenntnis der Polizei zu Pannen und Versäumnissen bei der Ermittlungsarbeit – das sind die neuen Erkenntnisse, die der öffentliche Zwischenbericht der Soko „Fokus“ zur rechtsextremen Terrorserie in Neukölln liefert.
Am Montag wurde der Bericht im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses vorgestellt. Der größte Teil des Dokuments bleibt allerdings vorerst geheim. Innensenator Andreas Geisel (SPD) begründete dies mit den laufenden Ermittlungen, die Tatverdächtigen könnten durch die bisherigen Ermittlungsergebnisse gewarnt werden. Betroffene wie der Neuköllner Linken-Politiker Ferat Kocak bemängeln, dass ihr Misstrauen in die Ermittlungsarbeit weiter steige. Außerdem leiste die Soko „Fokus“ zwar sicherlich gute Arbeit, aber untersuche gar nicht das aus Sicht der Betroffenen „eigentliche Problem“: Mögliche Verbindungen zwischen den tatverdächtigen Neonazis und den Ermittler*innen.
Bei dem dritten Tatverdächtigen soll es sich laut Tagesspiegel-Informationen um den polizeibekannten Neonazi Julian B. handeln. Weitere Details zu dem Bericht und der Sitzung des Innenausschusses lesen Sie hier. Die öffentliche Version des Zwischenberichtes finden Sie zudem hier als PDF.
Viele Fragen lässt der veröffentlichte Zwischenbericht offen. Da wären einerseits mutmaßliche Verbindungen zwischen der Anschlagserie und dem Mord an dem 22-jährigen Burak Bektas. Der Fall würde derzeit noch geprüft, heißt es in dem neunseitigen Dokument. Die Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektas kritisierte in einer Pressemitteilung, dass der „Sicherheitsapparat“, also die Behörden, nicht für die Sicherheit der Betroffenen der Anschlagserie in Neukölln arbeiten würde. Die Initiative kritisiert insbesondere, dass mögliche Verbindungen zwischen dem Mord an Bektas und dem Mord an dem jungen Briten Luke Holland wenige Jahre später nicht hinreichend untersucht würden.
Auch Verbindungen zwischen der aktuellen Anschlagserie und dem rechtsextremen Netzwerk „Nationaler Widerstand“ (NW), in dem mit dem ehemaligen NPD-Kader Sebastian T. mindestens einer der drei Hauptverdächtigen aktiv war, konnte die Soko „Fokus“ offenbar bislang nicht herstellen. So wurde offenbar bislang noch nicht geprüft, ob es Überschneidungen zwischen der bei T. entdeckten „Feindesliste“ mit den erwähnten 500 Datensätzen zu ausgespähten Personen und ähnlichen Datensammlungen des NWs gibt.
Derweil deuten Recherchen des antifaschistischen Verbundes „Recherche030“ auf eine weitere Verbindung hin: Zwischen dem NW und der Neuköllner AfD. Der Neuköllner AfD-Bezirksverordnete Christian Blank, dessen mutmaßliche Verbindungen zur rechtsextremen Hooligangruppe „Wannsee-Front“ schon länger bekannt sind, posierte demnach in der Vergangenheit öfter mit bekannten Mitgliedern des NWs für Fotos.
In den vergangenen Monaten kandidierte Blank wiederholt für den Vorstand der Bezirksverordnetenversammlung, er erreichte trotz vielfacher Wahlgänge nie die erforderliche Stimmenanzahl. Allerdings legt die Anzahl der Stimmen nahe, dass nicht nur AfD-Verordnete für Blank stimmten. Dass, wie „Recherche030“ berichtet, die CDU für Blank stimmte, ist aufgrund der geheimen Abstimmung nicht belegbar. Allerdings stimmten etwa bei einer Abstimmung am 22. Januar 18 Bezirksverordnete für Blank. Die AfD stellt acht Bezirksverordnete (davon drei Fraktionslose), die CDU zehn.
Das Neonazi-Netzwerk rund um den „Nationalen Widerstand“ soll zudem Verbindungen und personelle Überschneidungen mit dem mittlerweile aufgelösten Verein „BSG Elektro Krause“ geben. Der Gründer Thomas S. soll Mitglied der NPD gewesen und mittlerweile Mitglied der CDU sein. Passives Mitglied des Vereins soll unter anderem der CDU-Fraktionsvorsitzende in der BVV, Gerrit Kringel, gewesen sein. Die Neuköllner CDU-Fraktion ließ eine Bitte um Stellungnahme bislang unbeantwortet.
Zur Erinnerung: Die Aufklärungsrate der mindestens 72 Straftaten in Zusammenhang mit der rechtsextremen Anschlagsserie beträgt weiterhin Null Prozent.
Madlen Haarbach ist freie Autorin beim Tagesspiegel. Sie freut sich über Kritik, Anregungen und Tipps bei Twitter oder per E-Mail.