Kultur
„In jeder Stadt gibt es ein Neukölln“: „Sonne und Beton“-Illustratorin im Interview
Veröffentlicht am 17.11.2021 von Lotte Buschenhagen
Viel zu gut für Twitter fand Comedian und Autor Felix Lobrecht die düsteren Comics, die Oljanna Haus im ersten Lockdown auf ihrem Account teilte. In schwarz-roten Skizzen hatte die 23-Jährige Szenen aus Lobrechts Neukölln-Roman eingefangen, die die vier Protagonisten in den Schluchten der Gropiusstadt zeigten. Anderthalb Jahre später ist „Sonne und Beton“ als Graphic Novel erschienen: Dem Tagesspiegel verrät Oljanna, wie die vier Berliner Roman-Jungs auf die bunten Comicseiten wanderten – und, wo auch in ihrem Heimatdorf am Bodensee ein kleines Stück Neukölln versteckt liegt.
Oljanna, frei heraus: Was kommt dir als erstes in den Sinn, wenn du an Neukölln denkst? Die Plattenbauten! Gerade das Gropius-Haus ist für mich zum Zentrum der Gropiusstadt geworden, ich habe es oft gezeichnet. Alles spielt um den Block herum – das ist ein Symbolbild für Neukölln.
Eigentlich machst du gerade eine Zimmerlehre am Bodensee. Wie kommt es, dass du trotzdem 280 Seiten Berlin-Comics gezeichnet hast? Ich war im ersten Lehrjahr, als der erste Lockdown anfing und hatte viel freie Zeit. Nachdem ich Netflix durchgeschaut hatte, hatte ich das Gefühl, dass ich irgendetwas machen musste. Ich konnte nicht nur zu Hause sitzen. Ich hatte gerade das „Sonne und Beton“-Hörbuch gehört und habe einfach die erste Seite gezeichnet, ohne irgendwelche Hintergedanken: Die habe ich dann bei Twitter gepostet. Felix hat sie direkt gesehen und mir geschrieben, er würde das „feiern“ – und ob ich weitermachen möchte. Dann habe ich ihm noch ein paar mehr Seiten geschickt. Da war er so begeistert von, dass er fand, das sei zu gut für Twitter, wir müssten da irgendwas draus machen. Seine Lektorin hat dann vorgeschlagen, eine Graphic Novel zu zeichnen. Das ist dann so zusammengekommen – und anderthalb Jahre später habe ich ein Buch illustriert!
Weißt du noch, wie lang du schon zeichnest? Eigentlich schon immer, seit ich mich erinnern kann. Ich habe nicht viel Tagebuch geschrieben, aber oft über den Tag hinweg gezeichnet, auch in der Schule. Eigentlich die ganze Zeit – das ist etwas, was ich sehr gerne mache, auch auf Leinwand mit Farbe. Für das Buch habe ich digital auf dem Tablet gearbeitet: Das habe ich erst mit der Novel angefangen. Wenn man sich jetzt die ersten Seiten ansieht, hat sich Einiges getan, ich bin daran gewachsen.
750 km sind eine große Distanz, die es zu überwinden gilt. Wie denkt man sich für die Arbeit nach Berlin? Wie zeichnet man die Gropiusstadt, ohne vor Hochhäusern zu stehen? Ich habe viel mit Referenzbildern gearbeitet, über Google Street View! Weil die Orte im Buch sehr genau beschrieben sind und die eigentlich heute auch noch so aussehen, konnte ich die Schulwege ablaufen, konnte schauen, wo die Protagonisten wohnen. Als sich alles wieder gelockert hat, war ich auch mal in der Gropiusstadt und habe mir alles angeschaut. Das hat sich erstmal komisch angefühlt, weil ich die Häuser einfach so gezeichnet habe und nur von Foto- und Videomaterial kannte. Ich habe mich wie an einem Filmset gefühlt, das nach meinen Bildern gebaut wurde. Felix sagt immer, es ist für ihn total skurril, die Orte seiner Kindheit gemalt zu sehen. Bei mir ist es gerade andersherum.
Gibt es etwas, das künstlerisch besonders schwierig umzusetzen war? Oder im Gegenteil: Was fiel ganz leicht? Leicht gefallen ist es mir, die Bilder, die ich im Kopf hatte, aufs Papier zu bringen. Wenn ich das Buch durchschaue, dann sind das die Bilder, die ich auch beim ersten Mal Hören im Kopf hatte. Schwer war, die Texte auszuwählen – was kommt rein, was lasse ich weg? Felix hat mir komplette Freiheit gelassen. Tatsächlich ist jetzt fast alles im Buch – deshalb kann man eigentlich auch das Hörbuch hören und dabei den Comic anschauen, das ist total schön!
Was meinst du: Was kann so eine Graphic Novel besser als ein herkömmliches Buch? Ich finde, eine Graphic Novel ist spielerischer – man guckt durch, hat Bilder. Das ist auf jeden Fall leichter. Ich denke, dass es gerade auch bei „Sonne und Beton“ die Hemmschwelle zum Lesen senkt und ein leichterer Einstieg für Jugendliche zum Lesen ist.
Am Bodensee wohnst du in einem kleinen Dorf – prallen da nicht Welten aufeinander? Oder gibt es etwas in deinem Heimatort, das dich an Neukölln erinnert? Das sind tatsächlich zwei verschiedene Welten! Aber: Wo ich zur Schule gehe, gibt es auch so eine Hochhaussiedlung und dort gibt es auch so eine Schule, die nicht so super finanziert ist. Ich glaube, dass es in jeder deutschen Stadt, ob kleiner oder größer, ein Neukölln gibt. Und dass genau diese vier Jungs aus dem Buch ganz oft in Deutschland herumlaufen – und die gleichen Probleme haben.
„Sonne und Beton“ war für dich ein großer Erfolg. Flattern bei dir schon nächste Anfragen ein? Ich habe ein paar Anfragen bekommen, aber ich hatte bis jetzt noch nicht so viel Zeit, weil ich mich gerade auf meinen Ausbildungsabschluss konzentrieren muss. Im Januar ist meine finale praktische Prüfung. Ich denke, danach werde ich mich an neue Projekte wagen – ich freue mich schon, weil es auf jeden Fall ein paar Möglichkeiten gibt.
Zwei flotte Fragen zum Schluss – Hand aufs Herz: Zimmern oder Zeichnen? Zeichnen.
Und: Gibt es ein Buch, das du gerne einmal verzeichnen würdest? Sophies Welt!
- „Sonne und Beton – Die Graphic Novel“ (Hanserblau-Verlag) ist für 16 Euro unter diesem Link zu erstehen. Welche Werke Oljanna künftig illustriert, erzählt sie auf ihrem Instagram-Account.