Namen & Neues
Die Situation der Obdach- und Wohnungslosen im Bezirk
Veröffentlicht am 25.10.2017 von Madlen Haarbach
Bei der BVV wurden gleich fünf mündliche Anfragen zur Situation der Obdach- und Wohnungslosen in Neukölln gestellt. Eva-Marie Schoenthal (SPD) wollte etwa wissen, wie sich die Zahlen wohnungsloser Menschen im vergangenen Jahr entwickelt haben. Bezirksstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) erläuterte, dass die Zahl der untergebrachten Wohnungslosen im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 32,2 Prozent auf 3.897 gestiegen sei. Zu der Zahl der insgesamt im Bezirk lebenden Wohnungslosen könne das Bezirksamt jedoch keine Aussage treffen: „Das setzt einerseits das Bekanntwerden der Notlage durch die Behörde voraus, zum Beispiel bei Bezug von Sozialleistungen, andererseits die gewollte Inanspruchnahme durch die Betroffenen selbst“, so Biedermann. Parallel erklärte er, dass das Amt für Soziales derzeit intensiv an einer Präventionsstrategie zur Vermeidung von Wohnraumverlust arbeite. So wurden im Haushaltsplan für den Doppelhaushalt 2018/19 zwei Stellen für Sozialarbeiter*innen eingeplant, die sich speziell um Menschen kümmern sollen, die akut von Räumung bedroht sind. Außerdem sei das Bezirksamt bemüht, weitere Kältehilfe-Schlafplätze für die Winterperiode zur Verfügung zu stellen.
Schätzungen zufolge leben in Berlin derzeit etwa 5.000 bis 10.000 Obdachlose, die berlinweit um nur 155 ganzjährig zur Verfügung stehende Notunterkünfte konkurrieren. Im Winter werden diese durch zusätzliche Plätze in der Kältehilfe ergänzt (tagesspiegel.de).
Auf die mündliche Anfrage der SPD-Bezirksverordneten Diane Hall-Freiwald hin präzisierte Biedermann, dass von den 3.897 im Jahr 2016 untergebrachten Wohnungslosen 34 Prozent minderjährig waren. Durch den angespannten Wohnungsmarkt, Änderungen im Mietrecht sowie weitere gesellschaftliche Veränderungen habe sich „das Gesicht der Wohnungslosigkeit in den letzten Jahren deutlich verändert, was sich auch im erschreckend hohen Anteil Minderjähriger sehr deutlich zeigt“, so Biedermann weiter.
Steffen Schröter (AfD) fragte in einer weiteren mündlichen Anfrage, „warum das Bezirksamt erst jetzt das Problem mit den Obdachlosen aus den ost- und südosteuropäischen EU-Staaten in Neukölln“ angehe, „obwohl es eine gesetzliche Grundlage […] bereits seit dem 22.12.2016 gibt, das Aufenthaltsrecht bzw. Freizügigkeitsrecht nach drei Monaten von gerade solchen Unionsbürgern zu versagen“. Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) antwortete, dass das Bezirksamt das Recht auf Freizügigkeit nicht entziehen könne, da es schlicht nicht zuständig sei – dies sei Angelegenheit der Ausländerbehörde, genauso wie ein eventueller Leistungsentzug. Außerdem sei die „Freizügigkeit für Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union ein hohes Gut und ein wichtiger Beitrag für ein friedliches Zusammenleben in einem geeinten Europa“. Maßnahmen gegen den „Missbrauch von Grünanlagen und Parks als Übernachtungsstätten“ führe das Bezirksamt bereits seit Jahren konsequent durch.
Tony Pohl (Linke) erkundigte sich außerdem, warum das Bezirksamt Obdachlose aus öffentlichen Parkanlagen räume, obwohl der Bezirk nicht genügend Schlafplätze für Obdachlose gewährleisten könne. In ihrer Antwort erklärte Bezirksbürgermeisterin Giffey zunächst, dass die von den Räumungen betroffenen Obdachlosen fast ausschließlich aus Südosteuropa stammten und keinen Anspruch auf Sozialleistungen (und damit auf Unterbringung durch das Bezirksamt) hätten. Sie erklärte weiter, dass es sich um eine homogene Gruppe handele, die nahezu fast ausschließlich aus einem bestimmten Ort in Südrumänien stamme und sich in den Sommermonaten in Berlin aufhalte, um an belebten Plätzen zu betteln. Die Mehrzahl der Personen sei dem Ordnungsamt seit geraumer Zeit bekannt. Desweiteren lägen dem Bezirksamt Hinweise darauf vor, dass „es sich um eine von außen organisierte Gruppe handelt, die gezielt nach Neukölln gebracht wurde“, so Giffey weiter. Mitarbeiter des Ordnungsamtes hätten Geldübergaben an Fahrzeugen beobachtet, bei denen ganz offensichtlich die erbettelten Tageseinnahmen abgeliefert werden mussten. Das Bezirksamt gehe auf Grund der Beobachtungen davon aus, dass es sich „hier um gezielte Schleusungen von Menschen handelt, deren prekäre Lebenssituation in der Heimat skrupellos von Menschenhändlern ausgenutzt wird“. Giffey bedauerte, dass bislang keine beweiskräftigen Aussagen der Betroffenen zur Bekämpfung der Machenschaften erlangt werden konnten.
Derweil seien die „Auswirkungen der Nachtlager“ auf die Grünanlagen und Spielplätze laut Giffey „deutlich erkennbar und erheblich“: Eine „immense Vermüllung“ und der Gestank menschlicher Ausscheidungen würde nicht nur für eine „enorme Geruchsbelästigung“ sorgen, sondern auch für einen „enormen Rattenbefall“. Im Falle des Spielplatzes in der Treptower Straße habe sich dieser bereits auf den daneben liegenden Kindergarten ausgebreitet. Um die eigentliche Funktion der Parks und Grünanlagen, die Erholung der Bevölkerung, zu gewährleisten, müsse das Bezirksamt diese Zustände umgehend beenden. Daher das harte Vorgehen gegenüber illegalen Nachtlagern in Parks. Dies gelte auch für „die zahlreichen Touristen aus aller Welt, die sich in den Sommermonaten durch Nutzung der Neuköllner Grünanlagen als Campingplatz die Hotelkosten während ihres Berlin-Aufenthaltes sparen wollen“, sagte die Bezirksbürgermeisterin.