Namen & Neues
Die Woermannkehre soll nicht umbenannt, aber geschichtlich aufgearbeitet werden
Veröffentlicht am 09.09.2020 von Masha Slawinski
In Britz, südlich des Rixdorfer Ortskerns, gibt es eine 130 Meter lange Sackgasse mit einer Wendemöglichkeit für größere Fahrzeuge, mit dem Namen Woermannkehre. Ihr Namensgeber, der Hamburger Kaufmann Adolph Woermann (1847-1911) war Reichstagsabgeordneter in Berlin, Lobbyist und galt als der größte Privatreeder der Welt.
Mit seiner Schiffslinie, der sogenannten Woermann-Linie, profitierte er vom Handel mit Kolonien. Er verdiente zum Beispiel am Transport deutscher Kolonialsoldaten nach Südwestafrika. Während des Völkermords setzte er Herero und Nama als Zwangsarbeiter*innen ein. Deswegen verlangen einige, dass der Name der Woermannkehre, wie bei der Mohrenstraße und der Wissmannstraße geplant, geändert wird.
In der Woermannkehre sind drei Unternehmen ansässig. Darunter ein privates, internationales Gesundheitsunternehmen, BIOTRONIK SE & Co. KG (Biotronik), das Herzschrittmacher und Implantate exportiert und seit 1963 in Neukölln ansässig ist. Eine Adressänderung würde für das Unternehmen bedeuten, dass die Zertifikate, auf denen der Name, der Hersteller und die Adresse stehen, nicht mehr übereinstimmen würden.
„Die nach einer Umbenennung notwendige Neuzertifizierung aller Produkte könnte erst in einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren erfolgen und könnte neben einem erheblichen Kostenaufwand den gesamten Export des Unternehmens beeinträchtigen. Trotz der Wichtigkeit, die Kolonialgeschichte aufzuarbeiten, kann es nicht im Interesse der Grünen liegen, den Bestand eines Neuköllner Unternehmens zu gefährden.“, sagt der Bezirksverordnete Dr. Christian Hoffmann.
Ein Antrag der Grünen fordert, dass die Woermannkehre nicht umbenannt, sondern geschichtlich aufgearbeitet und kontextualisiert wird, zusammen mit Bürger*innen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Die Kolonialgeschichte müsse vor Ort kenntlich gemacht werden, zum Beispiel durch eine einordnende Texttafel oder Stele. Biotronik soll die Möglichkeit haben, sich an dem Aufarbeitungsprozess zu beteiligen. Der Bildungsausschuss empfiehlt der BVV dem Antrag zuzustimmen.
“Man wird nicht alle problematischen Namen aus dem Stadtbild tilgen können, für einige muss es unterschiedliche Formen der Aufarbeitung geben, bei anderen, zum Beispiel der ‚Mohrenstraße‘, geht das überhaupt nicht“, sagt Hoffmann. Das Bezirksamt wird gebeten jedes Jahr erneut mit dem Unternehmen abzugleichen, ob die mit einer Umbenennung für das Unternehmen einhergehenden Risiken immer noch bestehen. Für den Fall, dass dies nicht zutrifft, würde man die Straße, zu Gunsten einer Schwarzen Person aus dem antikolonialen oder antirassistischen Widerstand umbenennen.
Dieser Beitrag stammt aus dem Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Neukölln. Die Newsletter für alle 12 Berliner Bezirke gibt es kostenlos und in voller Länge hier: leute.tagesspiegel.de
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