Namen & Neues

Interview: Gesundheitsstadtrat Falko Liecke über die Pandemie-Lage im Bezirk

Veröffentlicht am 09.12.2020 von Madlen Haarbach

 

Herr Liecke, wie ist die aktuelle Corona-Situation in Neukölln? Wir haben in Neukölln derzeit (Anm.: am Montag) eine Inzidenz von 220. Da waren wir schon deutlich drüber, aber wir stagnieren auf recht hohem Niveau. Wenn man sich die gesamte Berliner Entwicklung anschaut, hatten wir im Prinzip bis Ende letzter Woche eine fallende Kurve. Das heißt, deutlich weniger infektiöse Menschen. In dieser Woche geht’s berlinweit wieder aufwärts. Wir sehen das im Vergleich in Neukölln etwas abgeschwächter. In der Woche vom 9. bis 15. November hatten wir unseren absoluten Höchststand von über 1100 positiven Fällen, das nahm in den letzten Wochen immer weiter ab. Wir sind jetzt bei circa 900 Fällen in der Woche. Das heißt, die Entwicklung ist abwärts gewandt, was erst einmal eine gute Nachricht ist, aber noch nicht heißt, dass wir über den Berg sind. Die Haupt-Altersgruppe, die nach wie vor betroffen ist, sind im Berliner Durchschnitt die 37-Jährigen, in Neukölln liegt der Altersmeridian bei 35.

Wie ist generell die Lage im Gesundheitsamt und die Stimmung bei den Mitarbeiter*innen? Ich habe am letzten Freitag zwei unserer drei Standorte besucht. Die Stimmung ist ganz gut bei den Kolleginnen und Kollegen. Klar, die letzten Wochen und Monate zehren an den Kräften, aber sie sind hochmotiviert und arbeiten weiter. Das ist der Rücklauf, den ich auch bekomme. Mit Blick auf die Organisation und Koordination dieser drei Standorte ist es natürlich nicht ganz optimal: Wir würden uns wünschen, dass wir uns auf einen Standort konzentrieren könnten. Dafür suchen wir noch nach einer entsprechenden Liegenschaft, die in Neukölln gar nicht so einfach zu finden ist.

Wie bewerten Sie die aktuellen Infektionsschutz-Maßnahmen in Berlin, auch mit Blick auf Weihnachten und Silvester? Ich finde die Maßnahmen, die getroffen worden sind, richtig. Sie fangen auch langsam an zu wirken – allerdings noch nicht in der Form, wie wir es uns wünschen. Auch gerade mit Blick auf Weihnachten und Silvester, wo gerne viel gefeiert wird, halte ich es für notwendig, dass nach wie vor die Linie ausgegeben wird, möglichst wenig Kontakte zu haben, keine großen Feiern zu veranstalten. Ich glaube, da ist auch eine der größten Schwächen, die wir in Berlin haben, nicht nur in Neukölln. Wir haben ein Vollzugsdefizit. Die Einhaltung der Regeln lässt sich nur punktuell kontrollieren, aufgrund der verfügbaren Personalkapazitäten bei Ordnungsamt und Polizei. Wir versuchen jetzt noch auf andere Pferde zu setzen.

Welche sind das? Wir sind dabei, Corona-Lotsen einzustellen. Das läuft über die Senatsverwaltung für Integration. Die Lotsen sollen – auch mit der nötigen Kulturkompetenz – in Neukölln unterwegs sein. Da stelle ich mir vor, dass wir auch Moscheen und Vereine aufsuchen, dass wir mit Migrantenvertretungen enger in Kontakt kommen, um zu kommunizieren, was jetzt notwendig ist. Der Rücklauf, den wir auch aus dem medizinischen Bereich bekommen – gerade heute morgen hatte ich eine Telefonkonferenz mit einem Dialyse-Zentrum –, ist, dass viele migrantische Bevölkerungsteile sich nicht an die Maskenpflicht halten, einfach auch im privaten Umfeld zu lax damit umgehen, weil die Menschen nicht wissen, was sie tun müssen. Ich glaube, das ist eine offene Flanke, da will ich mehr Kapazität investieren, um aufzuklären, zu informieren. Und dafür brauchen wir auch Partner auf Augenhöhe. Wir brauchen Multiplikatoren, die uns dabei unterstützen. Da wollen wir jetzt einen Prozess organisieren, damit Menschen vielleicht auch mit Betroffenen direkt ins Gespräch zu kommen, um zu kommunizieren wie es denen (mit einer Covid-19-Erkrankung, Anm. d. Red.) ergangen ist. Das aus diesem Blickwinkel in die Communities zu kommunizieren finde ich eine gute Idee. Da haben wir am Montag erste Schritte vereinbart.

Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptursachen dafür, dass die Infektionszahlen nicht weiter sinken? Ich glaube, eines der Hauptprobleme ist, dass viele sich schlichtweg nicht an die Maßgaben halten und sich in Familienverbänden nach wie vor in größerem Stile treffen. Da habe ich jetzt keine einzelnen Hinweise drauf, aber ich kann es mir eben auch nicht anders erklären. Wir wissen, dass es aus der Schule heraus nicht kommt und eher in die Schule reingetragen wird, da sind wir uns in der Analyse einig. Kneipen, Restaurants und so weiter sind geschlossen, da kann es gerade nicht herkommen. Es muss in irgendeiner Form aus dem privaten Umfeld kommen und das ist auch losgelöst von der Herkunft der Bevölkerung.

In den vergangenen Tagen wurde über Glühweinstände diskutiert, um die herum sich zum Teil auch Menschentrauben bilden. Das ist unter anderem auch rund um die Weserstraße im Reuterkiez ein Thema. Wie sehen Sie das? Wenn man sich seinen Glühwein abholt und dann weiter schlendert, ist das ja gar kein Problem. Das Problem ist immer, wenn man enger zusammen steht, weil man ja auch miteinander kommunizieren will. In größeren Gruppen zum Trinken des Glühweins, ob nun mit Alkohol oder ohne, nimmt man seine Maske ab. Und genau dann besteht halt auch die Gefahr. Und deshalb ist es wichtig, dass die Menschen einfach wissen, sie können gerne Glühwein trinken, aber nicht in Gruppen eng auf eng zusammenstehen und dann möglicherweise noch die Maske abnehmen. Das geht gar nicht. Da haben wir natürlich dann auch wieder das Kontrolldefizit, dass wir das nicht kontrollieren können, weil die Ordnungsämter so unterausgestattet sind.

Wie sind Sie generell mit Blick auf die die kommenden Wochen gestimmt? Ich bin nach wie vor angespannt. Mit den Erfahrungen, die wir in den letzten Wochen gemacht haben, sehe ich mit Blick auf Silvester, dass einige sagen: So das Jahr 2020, das Corona-Jahr, das haken wir ab und wir wollen jetzt in ein gutes Jahr 2021 kommen. Dahin kommen wir nur, wenn sich auch alle daran halten und sich jetzt nicht in Größenordnungen privat zuhause treffen oder auf der Straße unterwegs sind. Wenn das nicht passiert, haben wir eine ganz gute Chance, diesen Winter auch zu überstehen. Auch die Belegung der Intensivbetten ist nach wie vor angespannt. Was in der Öffentlichkeit gar nicht so kommuniziert wird, ist die große Belastung auf den Stationen, die teilweise keine Patienten mehr aufnehmen können, weil das Personal nicht da ist und der Schwerpunkt auf Corona gelegt wird. Das macht mir ehrlich gesagt Sorge.

Zum Schluss noch eine persönlichere Frage: Wie werden Sie denn selbst Weihnachten und Silvester verbringen? Ich werde im sehr kleinem Kreise mit meiner Frau und mit meinen Kindern und mit meiner Schwiegermutter feiern, weil wir mehr oder weniger alle zusammen wohnen. Ansonsten war’s das. Und Silvester feiere ich traditionell ohnehin eher sehr reduziert, weil wir einen Hund haben. Und mit der ganzen Knallerei ist das ein Graus.