Namen & Neues

Hinweistafel statt Umbenennung: BVV fordert geschichtliche Aufarbeitung der Woermannkehre

Veröffentlicht am 10.02.2021 von Madlen Haarbach

In Neukölln gibt es seit einiger Zeit eine breite Debatte über die Herkunft von Straßennamen. War es einst die Forderung nach mehr Namensgeberinnen (was unter anderem zur Benennung der Straßen im Rudower Frauenviertel führte), stehen jetzt vor allem koloniale Namen im Fokus. Für die nach dem Kolonialverbrecher Hermann von Wissmann benannte Wissmannstraße gibt es nun einen Termin für die feierliche Umbenennung in Lucy-Lameck-Straße: den 23. April. Laut Angaben des Bezirksamtes  sollen die Anwohnenden noch in diesem Monat ein entsprechendes Informationsschreiben erhalten.

Viel diskutiert wird auch über die Woermannkehre im Norden von Britz, in unmittelbarer Nähe zur Stadtautobahn. Die Woermannkehre ist nicht viel mehr als eine rund 130 Meter lange Sackgasse mit Wendemöglichkeit für Sattelschlepper. Anwohnende gibt es hier nicht, im Gegensatz zur Wissmannstraße, dafür drei Unternehmen. Namensgeber ist der Hamburger Kaufmann Adolph Woermann (1847-1911), Reichstagsabgeordneter in Berlin, Lobbyist und damals der wohl größte Privatreeder der Welt. Mit seiner Schiffslinie profitierte er insbesondere vom Handel mit den Kolonien, außerdem zwang er Angehörige der Herero und Nama zur Arbeit für seine Rederei.

Im Gegensatz zur Wissmannstraße gibt es bei der Woermannkehre ein Problem: Insbesondere für das Gesundheitsunternehmen Biotronik wäre eine Umbenennung wohl existenzgefährdend, da alle Patente adressgebunden sind und eine Änderung mit enormen Kosten verbunden wäre (NL vom 9. September 2020). Daher einigten sich Bezirksverordnete und Unternehmen auf einen Kompromiss, der bei der vergangenen BVV mehrheitlich beschlossen wurde: Der Name soll bleiben – aber gleichzeitig eine Stele oder Hinweistafel über seine Geschichte informieren. An der Entwicklung der Tafel, die laut Antrag noch in diesem Jahr aufgestellt werden soll, sollen neben den Unternehmen auch zivilgesellschaftliche Gruppen mit dekolonialer Ausrichtung und Historiker:innen beteiligt werden.

Die Umbenennung ist aber nicht vom Tisch: So bittet die BVV das Bezirksamt mit dem Beschluss, jährlich Rücksprache mit Biotronik zu halten – und, sobald das Risiko einer Existenzgefährdung nicht mehr bestehe, „zeitnah“ die Straße „zugunsten einer Schwarzen Person aus dem antikolonialen oder antirassistischen Widerstand“ umzubenennen.